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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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Stattdessen verschränkte sie die Arme und sagte:
    »Heute Nacht beziehungsweise heute Morgen habe ich etwas sehr Seltsames erlebt.«
    Er legte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Nacken.
    »Ja, das habe ich deinem Brief entnommen«, sagte er.
    Sie zögerte, wusste nicht, wie sie beginnen sollte.
    »Marco, du weißt schon, unser freundlicher, sympathischer Schweizer, ist in Wahrheit ein brutaler Schläger, der seine Frau misshandelt. Vielleicht sogar ein Psychopath, der ein Menschenleben auf dem Gewissen hat.«
    Sie blickte verstohlen zu ihm hinüber, um zu prüfen, ob diese radikale Einleitung irgendeine Reaktion bei ihm hervorrief.
    Doch er sah weder schockiert noch misstrauisch aus, sondern starrte ausdruckslos an die Decke, als könne ihn nichts mehr verwundern.
    »Annika, seine Frau …«
    203

    »Ja?«
    »Ach, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.«
    »Beginn einfach mit dem Anfang«, sagte er freundlich.
    »Vielleicht sollte ich zuerst erzählen, dass ich mich gestern mit Roffe getroffen habe. Wir haben zusammen zu Mittag gegessen, und ich habe versucht, ihm so viel wie möglich über deine Situation zu entlocken. Wollte wissen, wie er die Lage sieht. Im Grunde konnte er mir nicht viel erzählen, trotzdem ist es ihm gelungen, mich etwas zu beruhigen.«
    »Das ist gut, dann kennst du jetzt die prekäre Situation, in der ich mich befinde.«
    »In der du dich befindest?«, fragte sie irritiert. »Für mich ist die Situation nicht minder prekär.«
    Er drehte den Kopf und begegnete ihrem Blick. »Ja, du hast Recht. Aber erzähl mir, was du heute Morgen erlebt hast.«
    »Ich bin mitten in der Nacht aufgestanden, um nach Hause zu fahren. Kajsa schlief noch, also habe ich ihr einen Brief hinterlassen. Als ich gerade durch Traninge gefahren war, sah ich eine Person am Straßenrand. Es war noch nicht mal fünf Uhr und es regnete. Es war Annika Fermi.«
    Katharina erzählte die ganze Geschichte vom Anfang bis zum Ende, ohne unterbrochen zu werden. Mit einer gewissen Zufriedenheit registrierte sie Patriks uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Als sie fertig war, rief er erregt aus: »Was für eine scheußliche Geschichte! Kein Wunder, dass du mitgenommen aussiehst.«
    »Sehe ich mitgenommen aus?« Sie betastete mit den Händen ihr Gesicht, als könne sie sich auf diese Art davon überzeugen.
    »Inwiefern?«
    »Du siehst ganz einfach müde und blass aus. Das wird sich geben, wenn du noch mehr geschlafen hast.«
    »Meinst du? Aber was sagst du zu der ganzen Geschichte?«
    204

    »Dass sie vermutlich wahr ist, allerdings mit der Einschränkung, dass das ganze Blut höchstwahrscheinlich von einem Schwein stammte.«
    »Einem Schwein?«
    Er drehte sich auf die Seite und stützte den Kopf auf die Hand.
    Sein Lächeln kam ihr rätselhaft vor.
    »Ich habe nämlich auch eine merkwürdige Geschichte zu erzählen«, sagte er.
    Katharina fröstelte. Sie ließ sich nach unten gleiten und zog sich die Decke bis ans Kinn.
    »Erzähl«, sagte sie.
    »Ich bin heute Nacht ziemlich früh auf der Couch im Atelier eingeschlafen«, sagte er. »Also war ich ausnahmsweise um zehn wieder wach. Nachdem ich geduscht und mich angezogen hatte, war ich so energiegeladen, dass ich einfach raus und mich bewegen musste. Um die Wahrheit zu sagen, war ich wie trunken vor Freude, dass du nach Hause gekommen bist. Als Erstes wollte ich die Post holen, und wem, glaubst du, bin ich unten am Briefkasten begegnet? Nisse, und zwar so wütend, wie ich ihn selten erlebt habe. Er fluchte, dass er endgültig die Schnauze voll habe und kündigen werde und dass sie schon sehen würden, wie sie ohne ihn zurechtkämen und so weiter.
    Eigentlich hatte ich keine Lust, mir sein ganzes Gezeter anzuhören, doch plötzlich begann er davon zu reden, dass Nygren einen Mörder versteckt halte. Da habe ich ihn eingeladen, zu mir in den Garten zu kommen und ein paar Bier mit mir zu trinken. Es war ja schon ziemlich warm, und er ist darauf eingegangen. Wir saßen in der Laube, und nach kurzer Zeit wusste ich, was ihn so aufgeregt hatte. Einer der beiden Eber des Hofs ist heute Nacht getötet worden. Jemand hat ihm den Hals durchgeschnitten.«
    Katharina stützte sich auf die Ellbogen und rief: »Hat Marco das getan?«
    205

    »Nisse sagt ja.«
    »Aber warum? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Was sagt Nisse dazu?«
    »Wenn man ihm glauben kann, dann will Nygren nicht, dass jemand davon erfährt.«
    Katharina ließ sich wieder in die Kissen zurückfallen.

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