Der leiseste Verdacht
bemerkte, dass sie kurz eingenickt war, stand sie widerwillig auf und verabschiedete sich.
Bevor sie einschlief, hörte sie die Stimmen der beiden Männer durch die geschlossene Tür. Sie schienen ein leises und intensives Gespräch zu führen.
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18
Samstag, 6. Mai
Katharina erwachte vom Geräusch des Regens, der gegen die Fensterscheibe prasselte. Sie hörte Patrik schwer atmen und drehte den Kopf. Sein Bart kitzelte an ihrem Oberarm, sein Atem stank nach abgestandenem Whisky. Die einsetzende Erinnerung bereitete ihr körperliches Unbehagen. Sie rückte von ihm ab und ekelte sich beinahe vor seiner unwissentlichen Zudringlichkeit. Roffe schlief bestimmt im Atelier, und natürlich konnte sie nicht erwarten, dass Patrik auf dem Sofa im Wohnzimmer übernachtete. Eigentlich aber wollte sie ihr Schlafzimmer so lange für sich allein beanspruchen, bis sie seine Nähe wieder einigermaßen ertragen konnte.
Derart schlecht gelaunt kam sie aus dem Bett und zog fröstelnd einen dicken Frotteebademantel über ihr dünnes Nachthemd. Als sie den Vorhang einen Spaltbreit öffnete, musste sie feststellen, dass der Frühling eine Ruhepause einlegte und einem launischen, böigen Wind das Feld überlassen hatte, der an den empfindlichen Gewächsen zerrte. Doch der Regen hatte auch sein Gutes; so brauchte sie wenigstens den Garten nicht zu wässern.
Ohne den schlafenden Mann in ihrem Bett noch eines Blickes zu würdigen, verließ sie den Raum mit dem festen Vorsatz, das Bestmögliche aus diesem trüben Tag zu machen. Doch ihre Energie verließ sie sofort, als sie sah, in welchem Zustand sich die Küche befand. Sie hatte zwei Möglichkeiten: Entweder sie frühstückte allein, kümmerte sich nicht um die schmutzigen Kochtöpfe und die benutzten Teller mit den eingetrockneten Saucenresten und zog sich dann mit einem Buch zurück, um Patrik die Beseitigung dieses ganzen Elends zu überlassen. Oder sie wusch jetzt ab, um die beiden Schlafenden zum Duft frisch 225
gekochten Kaffees und gerösteten Brots zu wecken. Dass sie sich für Letzteres entschied, lag daran, dass sie sich an Roffes Wunsch erinnerte, heute mit Nisse zusammenzutreffen. Wenn sie nach Äsperöd wollten, würde sich vor dem späten Nachmittag niemand um den Abwasch kümmern, und so lange hielt sie dessen Anblick nicht aus. Mit angewidertem Gesicht begann sie, Teller und Gläser einzusammeln.
Sie hatte die Küche gerade wieder in einen erträglichen Zustand versetzt, als Roffe im Türrahmen erschien und um eine Kopfschmerztablette bat. Sie warf einen skeptischen Blick auf seine geschwollenen Lider.
»Wie lange wart ihr eigentlich auf heute Nacht?«
»Bis vier«, sagte er mit matter Stimme. »Eigentlich hatte ich mich um halb drei hingelegt, aber PM saß auf der Bettkante und quatschte mir so lange die Ohren voll, bis ich gedroht habe, nach Hause zu gehen, wenn er mich nicht schlafen lässt. Wir haben die ganze Flasche Whisky leer gemacht, das heißt, er hat sie leer gemacht, und ich habe ihm ein bisschen dabei geholfen. Aber es ist nicht nur der Kater. Ich bin es einfach nicht gewohnt, so wenig zu schlafen.« Katharina gab ihm das Glas Wasser mit der aufgelösten Kopfschmerztablette. »Danke«, sagte er, »damit werde ich gleich wieder ein anderer Mensch sein.«
Dann gelang es ihnen mit Mühe, PM zu wecken, der anfangs nicht aus dem Bett kommen wollte. Erst als er sich an das gestrige Versprechen erinnerte, Roffe mit Nisse bekannt zu machen, stakste er in die Küche und stürzte eine Tasse Kaffee auf nüchternen Magen hinunter. Die Atmosphäre am Frühstückstisch war gedämpft, und hätte sich Roffe nicht zusammengerissen, hätte sich wohl eine bedrückende Stille über den Raum gelegt.
Schließlich boxte Roffe PM in die Seite und sagte: »So, jetzt bin ich für die Ermittlungen des heutigen Tages gerüstet. Sieh zu, dass du in die Klamotten kommst, dann fahren wir rüber zu 226
Nisse. Bin schon gespannt, was dieser ehrenwerte Mann zu sagen hat.«
Es war beinahe zwölf Uhr, als sie endlich aufbrachen. PM
wollte sich hinters Steuer setzen, aber Roffe weigerte sich mit jemanden zu fahren, der in der vorigen Nacht so viel getrunken hatte. Sich selbst betrachtete Roffe als vollkommen nüchtern, und nach einer hitzigen Diskussion ließen sie den Fiat stehen und machten sich in Roffes Saab auf den Weg.
Katharina atmete erleichtert auf, als sie die beiden auf dem Weg verschwinden sah. Nach einem Moment der Unschlüssigkeit widerstand sie der Versuchung,
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