Der leiseste Verdacht
dem Glas schwappte und über den Tisch lief. Er schien es nicht zu bemerken. Er beugte sich ihr entgegen und sah ihr direkt in die Augen.
»Vielleicht würden Sie endlich zur Sache kommen und mir sagen, was sich die Leute über mich erzählen?«
Sie starrte ihn verblüfft an. »Sich über Sie erzählen?«
»Es gefällt mir überhaupt nicht, wenn sich die Leute das Maul über mich zerreißen. Ich will in Ruhe meiner Arbeit nachgehen, das ist alles. Es geht niemanden etwas an, was hier auf dem Hof vor sich geht oder welche Hunde ich mir anschaffe. Und ebenso wenig, ob ich einen neuen Vorarbeiter anstelle.«
Katharina brachte seine plötzliche Aggressivität vollkommen aus der Fassung. Da drückte der Schuh also. Sie hatte anscheinend zu viel geplappert. Verglichen mit Nygrens Launenhaftigkeit war Patrik geradezu ein Muster an Ausgeglichenheit.
»Auf dem Land wird eben immer viel geredet«, wiegelte sie ab.
Sein Blick nagelte sie fest. »Ach ja? Was denn zum Beispiel?«
»Sie können sich doch wohl denken, worüber die Leute reden.
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Schließlich sind auf dem Hof ein paar merkwürdige Dinge vorgefallen. Die Geschichte mit Marco Fermi …«
»Woher wissen Sie davon?«
»Nisse … ich weiß nicht … die Leute …«
»Nisse!«, rief er mit Abscheu aus.
Sie fragte sich, ob er imstande wäre, ihr Gewalt anzutun.
Nygren atmete schwer. Katharina registrierte ein Zucken seiner rechten Gesichtshälfte. Er schien gefährlich aus dem Gleichgewicht geraten zu sein.
»Niemand ist Ihnen schlecht gesonnen«, fuhr sie fort. »Aber die Leute machen sich eben Sorgen. Zuerst der Fund dieser Leiche und dann Fermi … So was sorgt auf dem Land immer für Aufregung. Ansonsten passiert ja auch nicht viel …«
Er stellte sein Glas eine Spur zu hart auf den Tisch. »Sie scheinen ja eine Menge davon zu wissen, was die Leute denken und reden. Sie schnüffeln wohl gern im Privatleben anderer Leute herum.«
Was für ein Ton! Welche Unverschämtheit! Es war an der Zeit, zu gehen. Sie wollte aufstehen und sagte in eisigem Ton:
»Das habe ich nicht nötig.«
Er streckte gebieterisch den Arm aus. »Bleiben Sie sitzen! Ich bin noch nicht fertig.« Es klang wie ein Befehl. Sie traute ihren Ohren nicht, folgte jedoch seiner Anordnung.
»Ich will hören, was die Leute sagen – und was Sie wissen und zu wissen glauben. Was hat der mit den Wachhunden gesagt?«
»Sven Berg?«
»Ja, worüber haben Sie gesprochen?«
Katharina starrte ihn entgeistert an. Hatte sie irgendetwas gesagt, das sein Misstrauen hätte wecken können? Seine Paranoia schien keine Grenzen zu kennen. Glaubte er wirklich, dass die Leute in der Gegend bereits an seiner Identität zweifelten? Plötzlich tat er ihr Leid. »Sie können ganz sicher 419
sein, dass niemand etwas über Ihre Vergangenheit weiß«, erwiderte sie. Noch mit demselben Atemzug hätte sie sich in die Zunge beißen können.
»Meine Vergangenheit?«, wiederholte er langsam. »Was wissen Sie von meiner Vergangenheit?«
»Gar nichts!«, antwortete sie etwas überhastet.
Er schaute sie nachdenklich an. Sein Blick kam ihr kalt und berechnend vor. Ohne ein Wort der Erklärung stand er auf und verließ den Raum. Sie hörte seine Schritte verhallen, eine Tür schlug, und ehe sie sich’s versah, ging der Hund bereits zum Angriff über.
Seine mächtigen Vorderläufe krallten sich in die Armlehne und hätten beinahe ihren Sessel umgeworfen. Sein geiferndes Maul war nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt.
Sie starrte in die leeren, milchigen Augen und schrie in nackter Panik. Der Hund fletschte knurrend die Zähne, doch Nygren zog ihn zurück und befahl ihm, sich hinzulegen. Er gehorchte sofort, ließ sie jedoch nicht aus den Augen.
»Nehmen Sie den Hund weg!«, keuchte sie.
Nygren betrachtete aufmerksam ihre Reaktion. Sein
Gesichtsausdruck war neugierig und drohend zugleich. Starr vor Angst begriff sie, dass sie es mit einem Wahnsinnigen zu tun hatte.
»Solange Sie sich nicht von der Stelle rühren, tut er Ihnen nichts. Nur wenn Sie aufstehen und den Raum verlassen wollen, fällt er Sie an.«
Ihr Körper zitterte, während die Übelkeit in Wellen von ihr Besitz ergriff.
»S … Sie sind v … verrückt«, stammelte sie. »Warum lassen Sie mich nicht gehen?«
Er setzte sich in aller Ruhe wieder hin und leerte sein Kognakglas, ehe er sagte: »Vielleicht lasse ich Sie gehen, wenn 420
Sie endlich mit Ihren Andeutungen aufhören und mir genau erzählen, was Sie alles wissen.«
Sie
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