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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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Traninge erreicht. Die Hälfte der Strecke lag noch vor ihr. Auf dem Verkehrsschild stand eine große 50. Sie fuhr noch langsamer und rollte mit sechzig Stundenkilometern durch die schlafende Ortschaft. Mehrere Kilometer würde die Straße jetzt schnurgerade verlaufen. In weiter Entfernung nahm sie einen beweglichen Punkt am Straßenrand wahr, bedeutend kleiner als ein Elch. Vielleicht ein Reh? Nein, es war ein Mensch. Ein ziemlich kleiner Mensch. Sie fuhr an ihm vorbei und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Es war eine junge Frau.
    Unwillkürlich trat sie auf die Bremse. Mit quietschenden Reifen brachte sie das Auto zum Stehen und drehte sich um. Die einsame Frau setzte ihren Weg in die entgegengesetzte Richtung unverdrossen fort. Für einen Moment saß Katharina unschlüssig da, dann schlug sie das Lenkrad ein und wendete den Wagen.
    Sie hätte darauf schwören können, dass sie die Frau schon einmal gesehen hatte. Als sie auf gleicher Höhe mit ihr war, rollte sie auf die andere Fahrbahn und hielt ein Stück weiter vorn am Straßenrand. Sie beugte sich über den Beifahrersitz und kurbelte die Scheibe hinunter.
    »Annika?«
    Die junge Frau blieb stehen und starrte sie abweisend an. Dann entspannten sich ihre Züge. Sie hatte Katharina erkannt.
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    »Hallo«, sagte sie mit dünner Stimme.
    »Ist etwas passiert? Soll ich dich mitnehmen?«
    Katharina fand die gesamte Situation ziemlich merkwürdig, während sie Annika forschend ansah. Was in aller Welt machte Marco Fermis Ehefrau zu dieser Zeit auf der Straße? Warum ging sie im Regen spazieren? Und warum sah sie so sonderbar aus? Sie war völlig durchnässt. Die Haare klebten ihr an der Stirn und hingen wirr über den Ohren. Auch ihr Mund schien in Mitleidenschaft geraten. War sie hingefallen und hatte sich verletzt? Ihre Augen waren weit aufgerissen, als habe sie Angst.
    Sie schüttelte den Kopf und wollte ihren Weg offenbar fortsetzen.
    »Kann ich dir irgendwie helfen? Wo willst du hin?«, fragte Katharina.
    »In die Stadt«, antwortete Annika kurz angebunden.
    Katharina hatte ein ungutes Gefühl.
    »In die Stadt? Zu dieser Tageszeit? Warum fährst du nicht mit dem Auto?«
    Annika deutete auf die kleine Ortschaft, die Katharina gerade durchfahren hatte.
    »Da vorn nehme ich den Bus«, sagte sie.
    Katharina warf einen Blick auf die Uhr. Es war Viertel vor fünf.
    »Vor halb sieben kommt kein Bus, und du bist doch schon völlig durchnässt.«
    Annika Fermi blickte hilflos an sich hinunter, als bemerke sie erst jetzt, dass ihre Kleider durchnässt waren. Ihre Lippen begannen zu zittern, und plötzlich brach sie in Tränen aus.
    Mit einem Sprung hatte Katharina den Wagen verlassen. Mit entschlossenem Griff packte sie Annikas Arm und öffnete die Beifahrertür. Mit sanfter Gewalt manövrierte sie die störrische Frau ins Auto. Sie entdeckte eine Handtasche auf der Straße und 170
    einen aufgeweichten Schal, der am Straßenrand im Dreck lag.
    Beides warf sie auf den Rücksitz. Nachdem sie wieder hinter dem Steuer Platz genommen hatte, sagte sie: »Hier kannst du zumindest eine Weile im Trockenen sitzen und dich aufwärmen, bis der Bus kommt. Bist du wirklich den ganzen Weg zu Fuß gegangen?«
    Annika Fermi nickte.
    »Aber warum? Weiß Marco, dass du … aus dem Haus
    gegangen bist?«
    Annika, die lautlos zitternd vor sich hin weinte, war nicht in der Lage zu antworten. Katharina griff nach der Decke, die auf dem Rücksitz lag, und legte sie Annika um die Schultern. Im Handschuhfach fand sie ein paar Papiertaschentücher und reichte sie ihr. Dann wartete sie darauf, dass Annika sich ausgeweint hatte.
    Ein merkwürdiger Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Hier, auf einsamer Landstraße in trüber Dämmerung, saßen zwei Ehefrauen beieinander, die Reißaus genommen hatten. Die eine auf dem Weg nach Hause, die andere auf der Flucht. Der Gedanke an Patrik gab ihr einen Stich. Nun saß sie hier fest und konnte nicht weiter. Verdammt! Dabei hatte sie es so eilig gehabt, nach Hause zu kommen.
    Annikas Schluchzen verebbte. Katharina betrachtete ihren Mund. »Hast du dich verletzt? Deine Lippen sind geschwollen.«
    Das Schluchzen wurde wieder stärker, und schließlich sagte Marcos Ehefrau mit brüchiger, tränenerstickter Stimme: »Er hat mich geschlagen … er schlägt mich immer wieder … er ist nicht normal. Ich bin abgehauen. Ich muss zurück nach Stockholm.«
    »Abgehauen?«, wiederholte Katharina ungläubig. »Er weiß also nicht, dass du ihn verlassen

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