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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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    Roffe hatte betont, er wolle die Autorität der Reichspolizei keineswegs in Frage stellen, doch hätten die Recherchen eine Reihe neuer Gesichtspunkte ans Tageslicht gebracht, die nicht ignoriert werden könnten. Er hatte angedeutet, dass einige Hintergrundinformationen, selbstverständlich unter Wahrung absoluter Diskretion, für die weiteren Ermittlungen von unschätzbarem Wert wären. Roos hatte am Ende nachgegeben, sich jedoch geweigert, weiter am Telefon über die Sache zu sprechen. Die Angelegenheit sei allzu sensibel, und wenn Hauptkommissar Stenberg unbedingt nähere Aufschlüsse wolle, müsse er sich schon persönlich nach Stockholm bemühen.
    Roffe ging in Gedanken noch einmal die Fakten durch, die er zur Sprache bringen wollte, sowie die Fragen, die er nicht vergessen durfte. Er war gut vorbereitet, jedoch ziemlich angespannt, was das bevorstehende Treffen anging. Vor allem aber war er sehr neugierig.

    Mit dem Shuttlebus von Arlanda bis ins Zentrum zu gelangen, dauerte nicht ganz so lang wie der Flug, doch die Busfahrt kam ihm definitiv zäher und langweiliger vor.
    Auch in Stockholm war der Frühling in diesem Jahr
    ungewöhnlich warm. Er hätte eine leichtere Jacke anziehen sollen, dann würde er in dem stickigen Bus weniger schwitzen.
    Als er endlich aussteigen konnte, besserte sich seine Laune schlagartig, und so entschloss er sich zu einem raschen Spaziergang nach Kungsholmen. Seine gefütterte Jacke über dem Arm, steuerte er auf die Hantverksgata zu. Er fühlte sich in dem Gewimmel wie zu Hause und passte sich willig dem Puls der Großstadt an, der Christiansholm wie ein verschlafenes Kaff wirken ließ. Dennoch wollte er nicht tauschen, hatte er die Kehrseite Stockholms doch jahrelang aus nächster Nähe erlebt.
    Trotz einer gewissen Unsicherheit, wie seine Begegnung mit Roos verlaufen würde, war er guten Mutes. Die Straßen 265
    wimmelten von leicht bekleideten Menschen, die ihre winterbleiche Haut der Sonne aussetzten. Er fand, dass eine Atmosphäre der Sorglosigkeit und freudigen Erwartung in der Luft lag, oder projizierte er seine eigene Stimmung auf seine Umgebung?
    Er war schon viel zu weit gegangen, hatte die Polhemsgata hinter sich gelassen und passierte gerade die Kronobergsgata, als er einem plötzlichen Impuls nachgab, in den nahe gelegenen Park abbog und sich auf eine Bank setzte.
    Hier schien alles unverändert, und als er seinen Blick über die altbekannte Umgebung schweifen ließ, wurden Erinnerungen an seine Stockholmer Tage lebendig. Jeder Anblick, jede Hausfassade weckte Assoziationen. Menschen, denen er seit Jahren keinen Gedanken gewidmet hatte, tauchten plötzlich in seinem Gedächtnis auf. Mit leichter Verwunderung musste er sich eingestehen, dass die Zeit in Stockholm auch aus schönen Erlebnissen bestanden hatte. Er hatte sich angewöhnt, sein früheres Leben als weniger wertvoll zu betrachten als sein gegenwärtiges – welche Ignoranz. Außerdem war es ein unfreundlicher Akt von ihm, Anita zu ignorieren. Er sollte sie beide, Anita und Camilla, zum Essen einladen.
    Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war zehn nach zwei. Roos hatte gesagt, er mache irgendwann zwischen zwölf und ein Uhr Mittagspause, sei ansonsten aber den ganzen Tag über zu sprechen. Er sollte jetzt zu ihm gehen. Er stand auf und hielt Kurs auf das Reichspolizeigebäude.
    Roos besaß einen untadeligen Ruf, was seine berufliche Vergangenheit betraf. Man durfte also annehmen, dass er seinen Aufstieg zum Regierungsdirektor seiner Kompetenz zu verdanken hatte. Doch natürlich waren Roffe auch die üblichen Andeutungen zu Ohren gekommen, die stets darauf hinausliefen, dass es bei der Besetzung von Spitzenpositionen um ganz andere Qualifikationen als die berufliche Kompetenz gehe. Dennoch hatte niemand zu behaupten gewagt, Roos sei Regierungs-266
    direktor geworden, weil er in der richtigen Partei sei und die richtigen Leute kenne.
    Als er schließlich vor ihm stand, fühlte er sich von dem intensiven Eindruck, den Roos auf ihn machte, regelrecht überrumpelt.
    Roos war ein feingliedriger, eleganter Herr, dessen Bewegungen ebenso geschmeidig wie exakt waren. Mit seinen grauen Haaren und dem gebräunten Teint wirkte er wie ein Gentleman alter Schule. Er streckte Roffe seine schmale, gepflegte Hand entgegen und lächelte unvoreingenommen.
    »Willkommen, Herr Stenberg.«
    »Danke«, entgegnete Roffe, ein wenig aus der Fassung gebracht.
    Erst wenige Male in seinem Leben hatte er

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