DER LETZTE BESUCHER
nicht stimmte. Was war nur los mit Helen? Früher hatte sie sich immer gefreut, wenn die Freundin u n verhofft vor der Tür stand. Aber vielleicht war die Antwort ja ganz einfach , sie wollte eben keinen Kontakt mehr zu ihren alten Freunden haben. So etwas gab es. Während Sabine noch übe r legte, fuhr ein schwarzer VW -G olf an ihr vorbei in den Hof, und ein du nke l haariger , sportlich wirkender Mann, vielleicht Mitte dreißig , stieg aus . Er grüßte kurz , als er an ihr vorbeiging und die Haustür au f schloss.
„Zu wem möchten Sie denn?“ , fragte er höflich und hielt ihr die Tür auf. Dabei sah er sie neugierig an. Als sie nicht sofort antwortete, ging er schnell an ihr vorbei und betrat das Treppenhaus. Offenbar hatte er es eilig.
S abine überlegte einen Moment. „Nein danke, ich habe es mir anders überlegt. “ Schließlich ging es den Fremden nichts an, wenn Helen ihr nicht öffnen wollte. Uns icher drehte sie sich um und ging langsam zurück zu ihrem Auto .
Jetzt nachträglich ärgerte sie sich über sich selbst. Warum habe ich mich eigentlich so kindisch b e nommen? Vermutlich war das i rgendein harmloser Nachbar . Ich hä tte ihn doch einfach fragen können , ob er Helen und ihren Mann kennt . Ach was, warum mache ich mich ve r rückt. Geht mich doch gar nichts an. Dann eben nicht! Aber eigenartig war die Sache schon.
Sabine schob energisch ihren Poststapel beiseite, blickte aus dem Fenster und atmete tief durch . Das Büro hatte keine Klim a anlage, und die Luft war stickig. Draußen brannte die Sonne, vor dem Café auf der anderen Straße n seite hatten sie Sonnenschirme über den Tischen aufgespannt. Ein Pärchen steckte die Köpfe z u sammen , einige Hausfrauen hielten ihren Kaffe e klatsch. Eine junge Mutter versuchte gerade, ihren brüllenden Sprössling mit einem Eisbecher zu b e stechen – offensichtlich mit Erfolg – u nd beschäftigte sich anschließend hingebung s voll mit ihrem Handy. Sabine musste lächeln und nahm sich vor, nach Büroschluss auf dem Heimweg noch in irgendeinem der zahlreichen kleinen Straßenlokale in Sachsenhausen einz u kehren, bevor sie nach Hause fuhr. Sie wollte heute Abend nicht allein sein, und dort traf man immer bekannte G e sichter.
Das Läuten des Telefon s riss sie aus ihren Gedanken, und als sie Stefans Stimme hörte, freute sie sich und lud ihn spontan für den Abend zum Essen ein. Sie erzählte ihm von Helen, aber da er in Eile war, b e schloss sie, das Thema bis zum Abend zu vertagen. Vielleicht hat er ja eine Erklärung für Helens Ve r halten, dachte sie bei sich, er kennt sie doch auch von früher. Sie blickte auf ihre Uhr . Wenn nur endlich Feierabend wäre . Sie musste noch einkaufen für das Aben d essen.
Stefan Winter war Journalist und beruflich viel auf Reisen. Er lebte in Stuttgart, aber immer wenn er in Frankfurt zu tun hatte, verabredeten sie sich. Sabine hatte ihn kurz nach ihrer Schei du ng kennengelernt, und für kurze Zeit waren sie ein Paar gewesen. Aber es war ei n fach zu früh damals , sie wollte noch keine feste Bin du ng wieder und hatte dann Thomas kennengelernt. Stefan hatte sich tief verletzt zurückg ezogen. Für ihn war damals eine Welt zusamme n gebrochen, denn er liebte Sabine tief und au f richtig.
Inzwischen war auch Thomas längst Vergangenheit und Stefan ihr bester Freund. Nach dem Essen könnten sie sicher noch auf einen Absacker im Club vorbe i schauen und danach – na, man würde sehen. Auf jeden Fall waren die Abende mit Stefan immer sehr anregend und unterhal t sam , fand sie .
Sie gab sich einen Ruck und stand auf. Hat ja doch keinen Zweck, dachte sie, die restliche Post und die paar A b rechnungen kann ich genauso gut morgen fertig machen. Sie fuhr ihren PC herunter und ordnete die Unterlagen auf ihrem Schrei b tisch.
„Ich mache Schluss für heute, kann mich einfach nicht mehr konzentrieren. Bitte rufen Sie mich auf dem Handy an, wenn es noch etwas Wichtiges gibt“, erklärte sie der ve r dutzten Sekretärin am Empfang und verließ das Büro. Auf dem Heimweg hielt sie noch schnell beim Metzger und am Supe r markt, bevor sie dann mit zwei Tüten , einem Baguette unter dem einen und einem Blumenstrauß unter dem anderen Arm die Treppenstufen zu ihrer Wohnung empo r stieg .
Ein leichter Du ft nach Putzmitteln und frisc h gebackenem Kuchen hing im Treppenhaus und e r innerte sie an ihre Kindheit. Sie lächelte versonnen. Zu Hause hatte es freitags auch immer so gerochen und das
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