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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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zeigen will, wo's langgeht.
    »War das der gesamte Inhalt Ihres Gesprächs mit Mrs Sabich?«, fragt er.
    »Nein, gewiss nicht.«
    »Schön, dann erzählen Sie uns doch, was sonst noch passierte«, sagt Brand, als wäre das die natürlichste Bitte der Welt, als wäre ihm unbegreiflich, wieso Marta nicht selbst darauf gekommen ist. Die Dramaturgie des Gerichtssaals beeindruckt mich immer wieder, die theatralischen Improvisationen und die indirekte Art, mit den Geschworenen zu kommunizieren.
    Marta, in ihrem gemusterten Seidenblazer, ist schon aufgestanden, sagt aber dann doch nichts, als Mrs Belanquez antwortet.
    »Tja, nachdem sie die Barüberweisung gesehen hatte, wollte sie wissen, ob es noch mehr Überweisungen gegeben hat und wie die bezahlt worden waren und so weiter. Und dann ging es los mit Barüberweisungen und Kontoauszügen und Abhebungs- und Einzahlungsbelegen. Sehr viele Transaktionen. Hat fast den ganzen Tag gedauert.«
    »Euer Ehren«, sagt Marta. »Ich denke, die Befragung führt zu weit. Wir reden jetzt über Unterlagen, die, wie Euer Ehren schon mehrfach festgestellt hat, nichts mit dem Fall zu tun haben.«
    »Sonst noch was, Mr Brand?«, fragt Richter Yee.
    »Ich denke, nicht«, sagt Brand. Aber er hat ein bisschen Boden gutgemacht, den Geschworenen zu verstehen gegeben, dass da noch mehr im Busch war. Mrs Belanquez wird entlassen, und als sie auf ihren hohen Absätzen aus dem Saal klappert, wirft sie Marta, die sie offenbar mag, ein kleines Lächeln zu. Ihr schweres Parfüm schwebt hinter ihr her, als sie an mir in der ersten Reihe vorbeigeht.
    Ich glaube nicht, dass außer mir noch jemand unter den Zuschauern oder auf der Geschworenenbank wirklich die volle Tragweite von Mrs Belanquez' Aussage erfasst hat. Aber ich habe wieder das Gefühl, dass mein Herz heißes Blei pumpt. Ich sollte nicht überrascht sein. Ich habe die ganze Zeit gesagt, dass meine Mom Bescheid wusste. Und trotzdem ist es unerträglich, erst recht, wenn ich den Inhalt der Unterlagen hinzurechne, von denen die Geschworenen nie erfahren werden. Ich sehe es vor mir - Mrs Belanquez hinter ihrem Schreibtisch in der Bank mit dem üblichen auf alt getrimmten Mobiliar, während Kunden und Angestellte auf beiden Seiten vorbeiströmen, und ihr gegenüber meine Mom, die manchmal eine halbe Xanax schlucken musste, ehe sie sich in die Öffentlichkeit traute, die es hasste, sich beobachtet oder exponiert zu fühlen. Und jetzt sitzt sie vor der netten Mrs Belanquez und fügt Stück für Stück zusammen, was da vor sich gegangen ist, zunächst mal, dass mein Dad erst wenige Wochen zuvor bei Dana Mann gewesen war, einem Scheidungsanwalt, um sich beraten zu lassen, und dann, dass er fünfzehn Monate zuvor Geld von seinem Gehaltsscheck abgezweigt hat, um es beispielsweise für eine Barüberweisung an eine Praxis zu verwenden, die Patienten auf Geschlechtskrankheiten untersucht. In dem Moment weiß sie, dass er untreu war, dass er sie ununterbrochen zigfach belogen hat, unter anderem, und das ist die schlimmste Lüge, indem er so tat, als wolle er weiterhin ihr Mann bleiben, und sie muss das alles mit stoischer Miene und brechendem Herzen hinnehmen, während sie Mrs Belanquez gegenübersitzt, wissend, dass Rosa Belanquez den Ehering an ihrem Finger sieht und somit das ganze Ausmaß der Demütigung erkennen kann.
    Inzwischen stehe ich heulend auf dem Gang vor dem Gerichtssaal. Jetzt ist völlig klar, dass sie an jenem Dienstag zurück nach Hause kam und früher oder später die E-Mails meines Dads durchging. Dass sie herausfand, was es sonst noch alles herauszufinden gab im Zusammenhang mit der Frau, die er im Jahr davor gevögelt hatte. Hatten sie in der Woche vor ihrem Tod Streit? Haben sie sich angeschrien und rumgebrüllt und Möbel umgestoßen und an dem Abend, als Anna und ich da waren, bloß gute Miene zum bösen Spiel gemacht? Oder hat meine Mom das alles mit in den Tod genommen? Wahrscheinlich Letzteres, denke ich. Als wir zum Dinner kamen, wusste sie es seit fast einer Woche und hatte es offensichtlich für sich behalten. Sie hatte gelächelt und Pläne ausgeheckt, Alternativen abgewogen und, dessen bin ich mir jetzt sicher, ihren Tod geplant. Mein Dad hatte zwei Tage nach ihrem Besuch in der Bank das Phenelzin für sie abgeholt.
    Marta Stern ist raus auf den Flur gekommen, um nach mir zu sehen. Sie ist deutlich kleiner als ich und muss den ganzen Arm heben, um mir eine Hand auf die Schulter zu legen. Sie trägt eine schwere Halskette aus

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