Der letzte Coyote
Er trug seine Sonnenbrille und betrachtete sich im Spiegel. Die Blutergüsse unter den Augen waren nicht zu sehen. Mit der Zunge befeuchtete er seine Finger und drückte sein lockiges Haar nach unten, um die rasierte Stelle und die vernähte Wunde besser zu verbergen.
Hinter dem County-USC Medical Center fuhr er ans Ende des Parkplatzes und parkte so nah wie möglich an der Garage der Gerichtsmedizin. Er ging durch eine der offenen Garagentüren und winkte einem Wachmann zu, der ihn vom Sehen kannte und zurückwinkte. Eigentlich war es nicht gestattet, das Gebäude auf diesem Weg zu betreten, aber Bosch hatte es seit Jahren getan. Er würde nur damit aufhören, falls jemand eine Staatsaffäre daraus machte. Aber von dem Leichtlohn-Sheriff drohte keine Gefahr.
Er begab sich in den Aufenthaltsraum im ersten Stock und hoffte, daß er dort einen Assistenten finden würde – und zwar jemanden, den er nicht irgendwann einmal vor den Kopf gestoßen hatte.
Als er die Tür öffnete, umfing ihn das Aroma von frischem Kaffee. Ansonsten war der Raum eine Enttäuschung. Nur Larry Sakai saß an einem Tisch, auf dem Zeitungen aufgeschlagen lagen. Er war ein gerichtsmedizinischer Assistent, den Bosch nie recht hatte leiden können. Das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit.
»Harry Bosch«, sagte Sakai, nachdem er von der Zeitung aufgesehen hatte. »Wenn man vom Teufel spricht … Ich lese gerade von dir. Hier steht, du bist im Krankenhaus.«
»Ich bin hier. Siehst du mich, Sakai? Wo sind Hounchell und Lynch? Ist einer von ihnen da?«
Hounchell und Lynch waren zwei Assistenten, die Bosch kannte und die ihm einen Gefallen getan hätten, ohne groß zu überlegen. Sie waren beide in Ordnung.
»Nee, die sind unterwegs beim Einsacken. Viel los heute morgen. Anscheinend geht’s wieder aufwärts mit der Statistik.«
Bosch hatte nach dem Erdbeben Gerüchte gehört, daß Sakai beim Bergen von Leichen aus eingestürzten Wohnhäusern Fotos gemacht und unter falschem Namen an Boulevardblätter verkauft hatte. Sie zeigten Menschen, die im Bett von heruntergestürzten Decken erschlagen worden waren. Auch wenn es nur ein Gerücht war, es charakterisierte ihn treffend.
»Sonst noch jemand hier?«
»Nein, nur ich. Was willst du, Bosch?«
»Nichts.«
Bosch drehte sich zur Tür um und zögerte dann. Er mußte die Fingerabdrücke vergleichen und wollte nicht warten. Er wandte sich wieder Sakai zu.
»Sakai, könntest du etwas für mich tun? Einen Gefallen? Du hast dann was gut bei mir.«
Sakai beugte sich nach vorne. Bosch konnte die Spitze eines Zahnstochers zwischen seinen Lippen sehen.
»Ich weiß nicht, Bosch. Das ist ungefähr genausoviel wert, als wenn mir eine alte Nutte mit Aids sagt, ich würde eine Freikarte bekommen – wenn ich fürs erstemal bezahle.«
Sakai lachte über seinen Vergleich.
»Okay, ist schon gut.«
Bosch drehte sich um, unterdrückte seine Wut und stieß die Tür auf. Er hatte erst zwei Schritte auf dem Korridor gemacht, als Sakai ihn zurückrief. Wie er gehofft hatte. Er atmete tief durch und ging zurück.
»Bosch, stell dich nicht so an. Ich hab’ nicht gesagt, ich würde dir nicht helfen. Schließlich habe ich gerade deine Story gelesen, ich kann mir vorstellen, was du durchmachst.«
Klar, dachte Bosch sarkastisch, sagte aber statt dessen: »Okay.«
»Was brauchst du?«
»Fingerabdrücke von einem deiner Kunden im Kühlschrank.«
»Von wem?«
»Mittel.«
Sakai nickte in die Richtung der Zeitung, die er auf den Tisch geworfen hatte.
»Der Mittel?«
»Das ist der einzige, den ich kenne.«
Sakai schwieg, während er über die Bitte nachdachte.
»Du weißt, daß wir den Detectives, die in Mordfällen ermitteln, Fingerabdrücke jederzeit geben.«
»Laß den Scheiß, Sakai. Du weißt, daß mir das bekannt ist, und wenn du die Zeitung gelesen hast, weißt du auch, daß ich nicht der zuständige Detective bin. Aber ich brauche trotzdem die Fingerabdrücke. Besorgst du mir sie, oder verschwende ich hier nur meine Zeit?«
Sakai stand auf. Ihnen beiden war bewußt, wenn er die Bitte jetzt abschlug – nachdem er sie zunächst bereitwillig erfüllen wollte –, würde er in der geheimen Hackordnung der Männerwelt Bosch unterlegen sein. Wenn Sakai sein Versprechen einlöste, wäre das Verhältnis jedoch umgekehrt.
»Reg dich ab, Bosch. Ich mach’ es. Gieß dir einen Kaffee ein und setz dich. Wirf einen Vierteldollar in den Kasten.«
Bosch gefiel es überhaupt nicht, Sakai etwas schuldig zu sein, aber
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