Der letzte Drache
Übung.
“Ja, äh, klar.” Er drehte sich nun ganz zu ihr herüber. Leider stand vor ihm seine Teetasse, die er nicht ganz legal mit zum Arbeitsplatz genommen hatte und die er nun mit einer sportlichen Geste von ihrem Platz fegte. Wie konnte es anders sein, er landete einen Volltreffer. Das enge Kleid seiner Tischnachbarin war nun in wohlriechenden Tee getränkt, die Tasse zerbarst geräuschvoll beim Aufprall auf dem Boden.
“Sorry, nur gut, dass der nicht mehr heiß war.” Die Fremde lächelte ihn an. “Ich fürchte mein Kleid muss in die Reinigung.”
“Äh, ich könnte es waschen.”
“Mit Dior geht das leider nicht. Macht aber nichts. Ist eh nicht mein Lieblingskleid.” Sie stützte ihr Kinn in die Hand und lächelte Baldur offen an.
“Ich wasche nicht mit Dior, ich nehme Persil.” wollte er die Situation retten, sah ihr aber an, dass seine Antwort irgendwie nicht passte.
Wenn er bisher schon unsicher war, verlor er nun vollends die Orientierung. Sein Gehirn gaukelte ihm vor, die Handlungsoptionen durchzugehen, blieb aber bei dem Gedanken hängen, dass sie ihn wirklich süß angelächelt hatte.
“Sag mal, ich such da so ein spezielles Buch zur mittelalterlichen Geschichte. Kannst du mir da helfen?” Ihre Finger lagen auf einem Buchdeckel und strichen leicht darüber.
Das klang nach vertrautem Gebiet. Vielleicht hatte er eine Chance sich doch nicht wie ein kompletter Idiot aufzuführen. Doch bevor er einen Plan fassen konnte, hatte sein Mund instinktiv geantwortet.
“Die Bibliothek ist kein guter Stier” stammelte er.
Die Frau sah ihn mit großen Augen fragend an.
“Ich meine, nicht gut gestiert, äh sorstiert. Nein, natürlich nicht,” Jetzt stierte er sie wirklich an.
“Also nicht gut sortiert meine ich. Bei Büchern.”
“Nicht? Aber es ist doch eine Bibliothek.” Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und blinzelte ihm leicht zu.
“Ja schon, natürlich nicht bei allen Büchern. Es gibt hier schon sehr viele Bücher. Aber zum Mittelalter.” Oh Gott, er redete wirr. Wie kam er da nur wieder raus, ohne dieses äußerst erfreuliche Geschöpf für immer zu vergraulen?
“Baldur, na? Hast du Dich wie immer in den hintersten Winkel verkrochen?”
Da kam Jason. Seine Rettung.
“Aber mit so charmanter Begleitung kann ich das gut nachvollziehen.” Dabei grinste er anzüglich.
Gleichzeitig verschwand das Lächeln aus dem Gesicht der Dunkelhaarigen.
“Ich bin Jason, ein Freund von Baldur. Bist du neu hier?”
“Ja.” Das nennt man wohl kurz angebunden.
“Du wärst mir auch bestimmt schon aufgefallen, wenn du öfter hier wärst. Ich bin beeindruckt”. Wieder lächelte Jason sie an. Sie lächelte nicht zurück.
“Vielleicht kann ich dich ein wenig herumführen?”
Baldur hatte die Pause gutgetan. Er hatte sich gesammelt und verfolgte die Szene interessiert. Jason sah gut aus. Er war gebürtiger Amerikaner und ein Kollege von Baldur, auch Doktor und arbeitete am gleichen Lehrstuhl. Die weiblichen Studenten himmelten ihn an. Doch in diesem Fall schien er auf Granit zu beißen.
“Das wird heute leider nichts. Ich muss los.” Sie schob Baldur einen Zettel zu, schnappte ihre Tasche, die ganz zweifelsfrei den Ideen eines unter Frauen bekannten Designers entsprungen war und bewegte sich in Richtung Ausgang.
“Wow, mit dem Walk hätte sie bei Heidi ein Bild bekommen.” Baldur sah seinen Freund mit großen Augen an, doch der verzichtete auf eine Erklärung.
“Wer war denn das?” fragte er Baldur.
“Ich habe keine Ahnung. Ich weiß weder wie sie heißt noch was sie wollte. Aber,” Er sah sich den Zettel an,
“sie hat eine wichtige Frage zum Mittelalter und ich soll sie anrufen. Komisch, ich hab gar nicht gesehen, wie sie den geschrieben hat.”
“Ist doch egal. Jedenfalls war sie sehr deutlich. Sie will etwas von dir.”
“Meinst du wirklich?” Baldurs Gesicht lief rot an.
“Aber im Moment passt es wirklich gar nicht. Gestern ist das Buch endlich gekommen.”
“Du meinst der alte Schinken von dem kiffenden Mönch?” Jason lachte.
Baldur hatte angefangen, die Scherben seiner Teetasse einzusammeln.
“Ich weiß, dass alle diese Quelle für Trashliteratur aus dem Mittelalter halten. Aber schau mal hier. Wieder eine seriöse Chronik, die sich auf ihn bezieht. Und während die Standardwerke sich immer nur in Andeutungen ergehen, wird dieser Mönch sehr konkret. Er benutzt allerdings ein sehr umgangssprachliches Latein, ich komme nur langsam voran. Aber ich
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