Der letzte Drache
Fernsehen über Drachen gesehen. Die hätten Sie sehen müssen. Sehr spannend. Und dort wurde glaubhaft hergeleitet, dass die vielen alten Geschichten über Drachen einen wahren Kern haben könnten und immer wieder führten Spuren zu dieser Stadt. Sie haben doch sicherlich touristisch von dieser Sendung immens profitiert?”
Oha, die Besucherin lebte wohl in ihrer ganz eigenen Welt.
“Nun, nicht über die Massen”, schränkte Frau Strate ein. “Genaugenommen sind sie die erste Besucherin seit mindestens 30 Jahren, die mich nach Drachen fragt.” Sie schmunzelte und schaute Ella dann schief an.
“An was genau hätten sie denn gedacht: Ob unser Zoo einen lebenden Drachen beherbergt, wir einen Schutzdrachen als Stadtwache halten oder im Dom zumindest einen Drachenschatz ausstellen?”
Fast hätte Ella Begeisterung gezeigt bis ihr aufging, dass Frau Strate sich über sie lustig machte.
“Schauen sie, ihre Stadt ist sehr alt. Hier gibt es geschichtliche Quellen an jeder Ecke. Wussten sie etwa nicht, dass an der Nordseite ihres Rathauses der Beginn eines alten germanischen Drachenliedes in die Fachwerkbalken geschnitzt wurde? Und von dieser Art gibt es noch viele weitere Spuren, die ich mir gerne aus der Nähe anschauen würde.”
“Sagen sie mal, sie sind nicht zufälligerweise die weibliche Drachensucherausgabe von Erich von Däniken?” Frau Strate konnte ihren Spott nicht mehr verbergen. So ein Püppchen und dann noch so ein weltfremder Unsinn. Ihr Kaffee würde kalt werden, ihr Buch war gerade sehr spannend und in spätestens einer Stunde würde es hier sowieso wieder voller werden. Es war an der Zeit, dass sie die Besucherin loswurde.
“Ich sehe schon, sie haben die drachenhistorische Seite ihrer Stadt noch nicht für den Tourismus erschlossen. Das ist sehr bedauerlich, das könnte mal was ganz Großes werden. Schade”. Ella seufzte. Sie schlug die Beine übereinander und fragte
“Können sie mir zumindest eine nette Pension nennen und den Weg zum Rathaus zeigen?”
“Aber sehr gerne, gleich hinter ihnen in dem Prospektständer finden sie alles was sie brauchen, verschiedenste Prospekte mit Unterkunftsmöglichkeiten und auf der Rückseite der Werbeflyer für den Schmetterlingsgarten, das Treckermuseum und den Streichelbauernhof sind kleine Stadtkarten, auf denen auch das Rathaus eingezeichnet ist.” Frau Strate genoss die Sekunden ihres Triumphs, hatte dann aber eine brillante Idee, noch einen drauf zu setzen.
“Ich glaube ich weiß, wer ihnen bei ihrer Drachensuche vielleicht helfen kann”. Wieder nutzte sie eine längere Gesprächspause um Spannung aufzubauen, doch dieses Mal hing Ella an ihren Lippen. Mit dieser Gesprächswendung hatte sie nicht gerechnet.
“Der junge Doktor von Hohenstein ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Geschichte. Wenn einer etwas zum Thema Drachen sagen kann, dann er.” Der junge Herr Doktor, der bei ihr im Haus wohnte, grüßte meist nur flüchtig, nahm sich nie Zeit für einen Plausch und kam seinen Pflichten zur Reinigung des Treppenhauses nur sehr lückenhaft nach. Er hatte es nicht anders verdient. So wie sie ihn einschätzte, war er das genaue Gegenteil ihres Gastes. Er legte wenig Wert auf sein Aussehen und seine Kleidung, kam stets leger daher und würde wohl schon beim Anblick der schweinchenrosanen Garderobe die Flucht ergreifen. Dieses Aufeinandertreffen gönnte sie ihm.
“Oh, das klingt aber wie ein sehr guter Hinweis. Vielen herzlichen Dank.”
Frau Strate lächelte gönnerhaft.
“Wo finde ich Dr. Hohenstein denn?”
“Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Der Herr Doktor ist stattbekannt, sie müssen nur ein wenig herumfragen. Notfalls natürlich in der Universität.
“Ich weiß gar nicht wie ich ihnen danken kann. Sie haben mir so unendlich weitergeholfen. Danke schön”.
Ella verließ nun ihren Stuhl und begab sich zu den unnützen Prospekten. Die Karten ähnelten kindlichen Strichzeichnungen, die es selbst eingeweihten Ureinwohnern der Stadt erschwert hätten, das Rathaus zu finden. Die diversen Broschüren zu Unterkünften waren ob ihrer Fülle völlig verwirrend. Sie konnte hier Stunden zubringen, ohne zu wissen welche Unterkünfte überhaupt noch frei waren. Aber sie gönnte der Touristenschnepfe ihren Triumph nicht. Zielstrebig griff sie drei Prospekte heraus und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf.
“Ah, das ist ja genau was ich gesucht habe. Wunderbar.”
Noch lauter und aufgesetzt fröhlich setzte sie hinzu
“Danke
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