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Der letzte Elf

Titel: Der letzte Elf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana DeMari Silvana De Mari
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unerfindlichen Grund wollte der Drache nicht, dass sie gelesen wurden, und hatte sie vernichtet.
    Der Drache begann wieder, leise zu quengeln, wegen der Einsamkeit, den Krämpfen im Magen und einem Stechen im fünften Interkostalraum links, das zum hundertsiebenundfünfzigsten Wirbel hin ausstrahlte... dann schlief er ein und sein ruhiges Schnarchen erfüllte die Bibliothek.
    Die Drachen (Dragosaurus Igniforus) haben hundertsechsundfünfzig Wirbel , begann das Buch. Yorsch hatte ein wenig Mühe mit den Buchstaben der dritten Runendynastie, aber er kam zurecht.

KAPITEL 3
    R obi schlüpfte in den Schlafsaal. Das war ein großer Raum, der ehemals als Schafstall gedient hatte. Durch die Ritzen zwischen den Balken drang das Morgenlicht herein. Es gab keine Fenster und die Türöffnung war mit einem alten Schaffell zugehängt. Drinnen stand ein Dunst, worin sich der Geruch von Schimmel und ungewaschenen Menschenkindern mischte, außerdem ein Rest ehrlichen Schafgestanks, der in der Tat noch der erfreulichste Anteil in dem Ganzen war. Am Boden war gleichmäßig eine Schicht Stroh ausgestreut, das zwischen den Körpern der Kinder, die auf dem nackten Boden schliefen, zu Haufen zusammengeschoben war. Staubkörnchen tanzten in den Strahlen der Morgensonne. Robi ging wieder an ihren Platz zwischen Iomir und der Nordwand, wo das Holz ein bisschen feuchter und auch ein bisschen morscher war. Sie deckte sich mit dem Mantel zu, der nachts als Decke diente, tastete mit den Fingern nach der kleinen Ausbeulung, die das zweite Ei unter der Jacke machte, und schloss glücklich die Augen. Sofort erschien wieder das Bild vom Prinzen und dem Drachen und diesmal verscheuchte sie es nicht, sie verweilte dabei und ließ zu, dass es Kopf und Herz ganz ausfüllte.
    Sie war so in ihre Träumereien versunken, dass das Weckläuten sie hochschrecken ließ, obwohl es vorhersehbar und erwartet war. Sie war nicht die Einzige, für die Kinder war es normal, dass das Wecken sie aus unruhigen Träumen riss. Im Nu war der ganze Schlafsaal auf den Beinen. Die Erwartung eines wenn auch kargen Frühstücks und das geringe Vertrauen in die Nachsicht der Hyänen gegenüber Nachzüglern trieben alle zur Eile an, ja zur Hast. Die Mäntel wurden gefaltet und auf den Boden gelegt, in einer genau festgelegten Ordnung, die die Position der Kinder beim Appell widerspiegelte. Das Stroh wurde in die Ecken geschoben, sodass der nackte Lehmboden zum Vorschein kam, und dann stellten sich die Kinder neben ihren Schlafplätzen auf. Alles geschah in Stille, hastig, in der Angst, nicht rechtzeitig fertig zu sein. Das Schaffell am Eingang wurde beiseitegeschoben und die Hyänen betraten den Schlafsaal. Erschrocken überstürzten sich die letzten Nachzügler und stolperten übereinander. Tracarna lächelte immer. Sie war schön, oder genauer gesagt, musste sie vor geraumer Zeit wohl einmal schön gewesen sein, und meinte aus Gewohnheit, es immer noch zu sein, obwohl sie es nicht mehr wirklich war. Sie war klein und hatte ein ovales Gesicht. Sie trug eine komplizierte Frisur mit Zöpfen, die im Nacken zusammengesteckt waren, darin silberne Haarnadeln mit grünen Steinen. An diesem Tag trug sie eine rosa Jacke, auf der sich dunkelrosa Stickereien mit Glasperlenmotiven abwechselten. Der Rock war etwas dunkler als die Jacke, er nahm die Farbe der Stickereien wieder auf. Um den Hals trug sie eine prächtige weiße Spitze, die sich in einer Art Welle um den Hals legte und vorne zu einem bauschigen Knoten zusammenlief. Stramazzo war viel älter als sie. Vielleicht hatte er früher einmal ein intelligentes Gesicht gehabt und womöglich hatte er auch intelligente Dinge gesagt oder getan, aber das musste wirklich schon sehr, sehr lange her sein. Jetzt sah er aus wie ein enormer, aufgeblähter Frosch, der eine riesige Melone, ohne zu kauen, in einem Stück verschluckt hat, im Gesicht die Befriedigung darüber, das zuwege gebracht zu haben, der einzige Ausdruck darin, der mit abgrundtiefer und vollkommener Langeweile abwechselte.
    »Guten Morgen, liebe Kinder«, sagte Tracarna. Stramazzo nickte andeutungsweise.
    »Guten Morgen, Madame Tracarna und Herr Stramazzo«, sagten die Kinder im Chor.
    Eins der kleineren Kinder brachte den Satz nicht richtig zu Ende, weil es husten musste. Einen Augenblick lang machte Tracarna ein strenges Gesicht und runzelte die Stirn. Das Kind versuchte, den Husten zu unterdrücken.
    »Es ist der Morgen eines weiteren herrlichen Tages, an dem Ihr die Güte,

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