Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
zitterte, und der Fleecepulli unter der dicken Jacke vermochte nicht mehr zu wärmen. Hundeelend fühlte sie sich. Das hier war schlimmer als Packbier und alle Akten zusammen. Viel schlimmer. Unerreichbar – das hier war unerreichbar. Island. Was für eine bescheuerte Idee. Sie begann zu grübeln, wie sie, kaum angekommen, von diesem Ort wegkommen könnte. Noch heute. Am liebsten gleich. Jói vielleicht …
Die Tür klapperte.
»Elías ist doch ein verdammter alter Teufel.« Jói steckte grinsend den Kopf heraus. »Aber das war nur eine Nachgeburt, er hätte dir genauso gut das Lämmchen auf den Arm geben können.«
»Was – Nachgeburt«, murmelte Lies, »spinnt der, ich kann so was nicht, soll er doch selber...«
»Komm«, sagte Jói, »sei nicht so empfindlich. Elías erklärt dir jetzt, was du tun sollst. Komm.«
Giftig sah Lies ihn an. Eben noch hatte sie ihn gutaussehend und charmant gefunden – und jetzt schlug er sich auf die Seite des Alten und nannte sie empfindlich – na wunderbar. Wo war der Ausgang aus diesem Kino? Es gab keinen Ausgang – außer Jói. Und da sein Auto die einzige Chance schien, hier wegzukommen, und sie es sich daher nicht mit ihm verscherzen wollte, stand sie auf und folgte ihm, Böses im Herzen. Sie hasste den Stall. Sie hasste Nachgeburten und alte Männer, Petroleumlampen, verschimmelte Kühlschränke, eintönig schmeckendes Hammelfleisch. Sie hasste die alten Säcke, die damit lebten. Und beim zweiten Betreten roch der Stall prompt feindselig. Gehässig. Ammoniak ätzte in ihren Augen, das Blöken nervte, überall Schmutz und Unordnung, gleich am Eingang trat sie in eine breiige Masse, und der blöde Köter kläffte rum... Elías saß auf dem Geländer. Auf seinem Schoß hockte ein Lamm, und seine grobknochigen Hände, die das Lamm zart unter dem Köpfchen hielten und mit einer Flasche fütterten, bildeten einen eigenartigen Gegensatz zu dem bärbeißigen, ebenfalls feindseligen Gesicht, das er aufsetzte, als sie sich näherte. Wie du mir, so ich dir.
Lies straffte sich. Okay, er wollte Krieg. Also los, schlechter Laune konnte sie Kontra geben, viel besser als Packbiers perfider Beamtenzickigkeit. Der Alte von Gunnarsstaðir gewann im Kampf um den unangenehmsten aller Gegner wieder an Boden.
Mit ebenfalls finsterem Gesicht wandte sie sich an Jói. »Frag ihn, was meine Arbeit ist.«
»Du musst Isländisch lernen, Lies.«
»Ich hab keinen Bock, Isländisch zu lernen. Frag ihn.«
»Keinen Bock.«
»Keinen Bock, nein«, sagte sie heftig.
Jói sah sie an und schüttelte verständnislos den Kopf. Dann aber tat er, wozu sie ihn aufgefordert hatte. Elías hörte sich die Frage an, die im Übrigen im Isländischen viel länger wirkte als auf Deutsch. Wütend fragte sie sich, was er wohl noch alles für Geschichten über sie erzählte – ach, egal. Mit verschränkten Armen blickte sie die Decke an – besser die als diesen alten, unfreundlichen Sack.
Elías brummte. Dann glitt sein Blick an ihr herunter. Abschätzend. Und er sagte genau einen Satz. Jói kratzte sich am Ohr.
»Und?«, fragte Lies ungeduldig. Sie hatte Hunger wie ein Bär, jetzt wo der Magen leer war, und ihre Laune wurde immer schlechter. »Und?«
»Er sagt, du sollst alles machen, was er macht, aber ohne ihn zu stören.«
»Du nimmst mich auf den Arm.« Jetzt schaute sie sehr böse drein, und Jói überlegte, dass diese Deutsche, so hübsch und nett sie auch aussah, doch verdammt viele Haare auf den Zähnen hatte. Na, das würde ja eine lustige Hausgemeinschaft auf Gunnarsstaðir geben …
»Nein, genau das hat er gesagt. Mach einfach alles, was er macht, dann lernst du es schon. Und lauf ihm nicht zwischen den Füßen rum, das kann er nicht leiden.«
Gab es irgendwas, was Elías überhaupt leiden konnte? Na, das Lämmchen vielleicht. Bei genauerem Hinsehen war es wirklich niedlich. Lies’ schlechte Laune wankte, als das kleine Viech sie ansah und zu meckern begann.
»Es sagt dir willkommen, hörst du?«, bemerkte Jói leise. Sie begegnete seinem ernsten Blick. Sie wusste darauf nichts zu sagen. Elías ließ das Tier in den Verschlag zurückfallen und griff sich das nächste, ohne ein Wort zu sagen.
»Hier im Stall sind die Mutterschafe.« Jói zog sie ein Stück den Gang hinunter. »Die stehen hier, bis die Lämmer groß genug sind, um mit den Temperaturen klarzukommen, dann treibt man sie nach draußen auf die Weide. Du wirst einen Blick dafür kriegen, wann sie so weit sind. Sie bekommen
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