Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
– Maia war in Konjunktion, und das Einschlagsrisiko bewegte sich um quälende fünfzig Prozent – arbeitete das Krankenhaus mit halber Besetzung: Apotheker und Apothekenhelferinnen kündigten in Scharen, und neue Leute wurden eingestellt, froh über ein Gehalt, das aus Staatsmitteln bezahlt wurde. Die Sicherheitsmaßnahmen waren durchwachsen (und sind es noch immer). An manchen Tagen gab es bewaffnete Wachposten mit Maschinengewehren; an anderen Tagen wurden die Türen zu geschlossenen Abteilungen von zusammengerollten Zeitschriften offen gehalten. Pyxis, das hochmoderne automatisierte Dispensersystem für Medikamente, gab im September den Geist auf, und der für das Concord Hospital zuständige Techniker des Herstellers ließ sich nicht ausfindig machen.
In dieser Zeit des Chaos und der Verzweiflung war der Leiter des seelsorgerischen Dienstes auf seinem Posten geblieben, eine vertrauenswürdige, unerschütterliche Gestalt, ein Fels in der Brandung. Und im November stahl er gewaltige Mengen Medikamente aus der Krankenhausapotheke, aus den Schwesterndienstzimmern, aus den Nachttischen der Patienten. MS Contin, Oxycontin, Oxytocin-Präparate, Dilaudid, halb leere Beutel mit flüssigem Morphium.
Während all dem bleibt meine Waffe unablässig auf sein Gesicht gerichtet: Seine goldenen Augen sind halb geschlossen, der Mund ist starr und ausdruckslos.
»Ich habe Toussaint versprochen, dass ich ihn weiter mit Drogen beliefern würde«, sagt er. »Ich habe ihm erklärt, ich würde das Risiko übernehmen, die Tabletten zu besorgen, wenn er das Risiko übernehmen würde, sie zu verkaufen. Wir teilen uns das Risiko, und wir teilen uns den Profit.«
Geld, denke ich, einfach nur dummes Geld. So klein, so schäbig, so stumpfsinnig. Zwei Morde, zwei Leichen in der Erde, all die Menschen, die leiden, die mit halben Dosen ihrer Tabletten auskommen müssen, während die Welt vor dem Untergang steht? Ich mustere den Mörder mit offenem Mund, von oben bis unten. Tut dieser Mann das wirklich alles aus reiner Gewinnsucht? Für eine goldene Uhr und eine neue Lederjacke?
»Aber Peter hat es rausgefunden«, sage ich.
»Ja«, flüstert Littlejohn, »das hat er«, und er senkt den Kopf und schüttelt ihn langsam und traurig, als würde er sich an eine bedauerliche Fügung des Schicksals erinnern. Jemand hatte einen Schlaganfall, jemand ist die Treppe runtergefallen. »Er … es war vorletzte Samstagnacht … er ist bei J.T. aufgetaucht. Es war schon spät. Ich bin immer nur sehr spät dorthin gefahren.«
Ich atme aus, knirsche mit den Zähnen. Man kommt nicht drum herum: Wenn Peter in einer Samstagnacht sehr spät bei J.T. war – ein Treffen, das J.T. mir verschwiegen hat –, dann war er dort, um sich eine Dröhnung zu verpassen. Er führte sein abendliches Telefonat mit Naomi, seiner Stütze, die selbst heimlich Morphium nahm; er sagte ihr, es gehe ihm gut, er halte durch, und dann besuchte er J.T. , um in den Satellitenorbit zu gehen; und dann taucht ausgerechnet sein Schwager auf, sein Schwager, der ohne sein Wissen eine neue Lieferung bringt.
Lauter Menschen mit gut versteckten Geheimnissen.
»Er sieht mich, ich habe eine Reisetasche in der Hand, Herrgott noch mal, und ich sage nur: ›Bitte, bitte, bitte, sag’s nicht deiner Schwester.‹ Aber ich wusste … ich wusste, er …« Er hält inne, hebt eine Hand zum Mund.
»Sie wussten, Sie würden ihn umbringen müssen.«
Er bewegt den Kopf ganz leicht auf und ab.
Er hatte recht: Peter hätte es Sophia erzählt. Tatsächlich hatte er sie deshalb am nächsten Tag angerufen, am Sonntag, dem 18. März, und dann noch einmal am Montag, aber sie ging nicht ans Telefon. Er setzte sich hin, um ihr einen Brief zu schreiben, fand aber nicht die richtigen Worte.
Also ging Erik Littlejohn am Montagabend ins Red River, um sich Fernes fahles Schimmern anzusehen, weil er wusste, dass er dort seinen Schwager, den stillen Versicherungsmenschen, antreffen würde. Und da ist er, zusammen mit ihrem gemeinsamen Freund J.T. Toussaint, und nach dem Film sagt Peter zu J.T. , er könne schon fahren, er wolle nach Hause laufen – Littlejohn vernimmt es mit Erleichterung – denn jetzt ist Peter allein. Und sieh einer an, da ist Erik, und Erik sagt, lass uns noch ein Bier trinken, lass uns ein bisschen quatschen – lass uns die Sache wieder einrenken, bevor es zu spät ist.
Und sie trinken ihr Bier, er holt ein kleines Fläschchen aus der Tasche, und als Peter das Bewusstsein verloren hat,
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