Der letzte Werwolf
Muskeln und neu arrangierter Gelenke. Die Handschellen würden entweder zerbrechen oder mir die Gliedmaßen durchtrennen. Ich sah schon vor mir, wie ich verwandelt war, aber nur noch vier blutige Stümpfe hatte. Ich wusste genau, welches Geräusch die Stümpfe auf dem Boden und an den Seiten des Vans machen würden.
Ich sah Poulsom an. Er schüttelte den Kopf, nein, nein, nein. Schon bald, wenn sich die Verwandlung sichtlich zeigte, würde er anfangen zu toben und in seinen Knebel zu schreien, sein ganzes Leben würde an die Hautoberfläche dringen und dort darauf warten, gerissen zu werden. Der Hunger, seine Weigerung zu verhandeln, waren eine Erleichterung, etwas Solides, an das man sich in all der Unsicherheit klammern konnte.
Plötzlich erfasste ich Jakes Geruch. Ich konnte mich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Ich drehte mich so weit wie möglich zur Heckscheibe um, wie ich konnte, unterdrückte den Impuls, so viel Lärm zu machen wie nur möglich.
Ich bin’s! Ich bin hier drin! Jake!
Warte. Sei klug. Hör hin. Da waren Stimmen.
»Haben Sie nicht gesagt, wir sind allein?«, fragte Ellis.
»Ja schon«, sagte eine andere Stimme. »Aber seit unserem letzten Gespräch ist was dazwischengekommen.«
Poulsom, der wohl Ellis’ Stimme erkannt hatte, trat um sich.
»Wen habt ihr denn da drin?«, fragte Jake. »Was zum Henker soll das?«
Die Hecktür ging auf. Sechs Meter entfernt standen Jake, Ellis und ein dritter Mann in Jagdkleidung. Mitte vierzig, dunkle graumelierte Haare. Brutale Wangenknochen.
Er sieht aus wie ein Indianer
, hatte Jake mir mal gesagt, daher wusste ich, ich stand Grainer gegenüber.
Der andere Jäger, für den Grainer, wie ich erkannte, ›der Boss‹ war, stand direkt neben dem Käfig und richtete eine Automatikwaffe auf mich.
»Keine Dummheiten, Jake«, sagte Grainer – dann geschah etwas Unerwartetes.
Er tat einen Schritt zurück und einen halben Schritt zur Seite, so als würde er hölzern einen klassischen Tanzschritt ausführen. Einen Augenblick erstarrte alles. Jake stand ein wenig der Mund auf. Sein Hemd war noch immer falsch geknöpft. Ellis schien wie in Zeitlupe nach dem Gewehr zu greifen, das ihm über der Schulter hing. Grainer hob die Hand und griff sich hinter den Kopf. Es gab ein leises Kratzen und einen Blitz aus funkelndem Metall. Alle Zuschauer schreckten hoch, so als hätten alle im selben Augenblick einen kleinen Elektroschock erhalten – in dem Augenblick, in dem die Klinge, ein glänzendes Breitschwert, mit dem Geräusch eines nassen, brechenden Zweiges durch Ellis’ Hals fuhr.
Der Kopf fiel herunter, bevor die Beine nachgaben. Die langen blonden Haare verfingen sich im Gewehr. Der Kollaps der Leiche wirkte merkwürdig ordentlich. Er ging in die Knie, zögerte und fiel dann in einer Geste völliger Unterwerfung nach vorn. Der Kopf, der noch immer mit den Haaren an der Waffe hing, lag mit dem Gesicht nach unten neben der Hüfte, so als wolle er einfach nichts mehr sehen.
»Lu?«, fragte Jake. »Alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut.«
»Woher wussten Sie davon?«, fragte Jake Grainer.
»Woher? Wir haben ein gutes Mädchen eingeschleust. Ich hab ja schon immer gesagt, Frauen sind die besten Agenten. Täuschung ist ihnen angeboren. Was ja auch nicht überrascht: Wenn Sie mit einem kleinen Loch geboren wären, in das die halbe Menschheit ihren Schwanz stecken kann, wann immer ihr danach ist, dann hätten Sie das Täuschen auch gelernt. Biologie ist Schicksal. Das kann man den Frauen kaum zum Vorwurf machen.«
Grainer nahm das Schwert mit der Linken, zog mit der Rechten eine Pistole aus der Tasche und richtete sie auf Jake. Ich ging in die Knie und würgte Galle hoch. Es war bald so weit.
»Bewach sie, Morgan«, befahl Grainer. Der Jäger am Käfig richtete seine Waffe, die während der Enthauptung ein wenig fortgewandert war, wieder auf mich.
»Tut mir leid, mein Engel«, sagte Jake. »Ich war dumm.«
Ich konnte nichts erwidern. Wir haben ein gutes Mädchen eingeschleust. Das musste nicht der Harte Brocken gewesen sein. Es gab auch noch andere Frauen im weißen Gefängnis. Doch die Hässlichkeit des Augenblicks dehnte sich in die Vergangenheit aus.
Sie sehen ja Ihren Freund heute Nacht
. Und ich flenne da auf der Pritsche wie eine Idiotin. Das muss nicht sie gewesen sein. Aber darin verbarg sich die eine zynische Version von Ockhams Rasiermesser: Wenn alle Dinge gleich sind, dann ist die beschissenste Erklärung die beste.
»Es tut mir so leid«,
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