Der letzte Weynfeldt (German Edition)
tat er das mehr, um seiner Neigung zum Einzelgängertum entgegenzuwirken.
Was sein Bedürfnis nach Sex betraf: Es spielte seit einer Episode – besser gesagt: seit einem Schicksalsschlag – in seinem früheren Leben eine immer nebensächlichere Rolle.
Deswegen war der weitere Verlauf des Abends alles andere als typisch für Adrian Weynfeldt.
Kaum hatte ihm der Barman den Martini gebracht, betrat eine Frau das La Rivière, steuerte auf die Bar zu, legte Mantel und Handtasche auf den Hocker neben Weynfeldt, setzte sich auf den nächsten und bestellte einen Gin-Fizz.
Sie trug eine grüne, chinesisch geschnittene Seidenbluse, aus deren kurzen, enganliegenden Ärmeln weiße Arme ragten. Dazu einen engen schwarzen Rock und hochhackige Pumps, ungefähr im Grün der Bluse. Das lange rote Haar war hochgesteckt und wurde über dem schmalen, vom Stehkragen der Bluse lose umfassten Nacken mit einer Spange aus Schildpattimitat zusammengehalten.
Bis jetzt hatte sie sich Weynfeldt nicht zugewandt, aber als der Barman den Drink vor sie hinstellte, ergriff sie die Cocktailschale und prostete Weynfeldt flüchtig zu. Sie wartete nicht, bis dieser das Glas erhoben und die Geste erwidert hatte. Aber als sie es in einem Zug bis zur Hälfte geleert hatte, blickte sie ihn an und lächelte.
Weynfeldt kannte dieses Lächeln.
So erschrocken war er darüber, dass er sein Glas an die Lippen setzte und – hinunterkippte. Die Frau, die ihn anlächelte, besaß eine so große Ähnlichkeit mit Daphne, dass es unmöglich sein konnte, dass sie nicht englisch sprach – ihr melodisches, walisisch gefärbtes Englisch –, sondern ihm ein akzentfreies »Pröschtli« zuraunte. Ihre Sprache brach den Bann denn auch etwas und schwächte den Eindruck ab, dass er Daphnes Wiedergängerin vor sich habe. Vor allem, da ihr Gin-Fizz wohl nicht das erste alkoholische Getränk an diesem Abend war und sie mit etwas schwerer Zunge sprach. Daphne hatte nie getrunken.
»Die Olive«, sagte sie, »wenn Sie sie nicht mögen, ich erlöse Sie davon.«
Weynfeldt hielt ihr das leere Glas hin. Sie fischte den Zahnstocher heraus und steckte sich die Olive in den Mund. Während sie sie aß, studierte sie ihn ungeniert, spuckte den Kern in die Handfläche und ließ ihn in Weynfeldts leeres Glas fallen. Dann trank sie ihres aus. »Lorena«, sagte sie.
»Adrian Weynfeldt«, erwiderte er. Er war kein Spontanduzer.
Lorena nahm ihre Handtasche – ein gut eingetragenes, schlichtes, markenloses Modell aus schwarzem Leder – und brachte ein ausgebeultes Portemonnaie zum Vorschein. Sie legte es auf die Theke, zählte halblaut ihr Geld, steckte es zurück und verstaute den Geldbeutel wieder in der Handtasche. »Was kostet ein Gin-Fizz?«, wollte sie vom Barman wissen.
»Achtzehn«, antwortete der.
»Dann reicht es für drei.«
»Wenn Sie erlauben«, sagte Weynfeldt, »komme ich für die Getränke auf.«
»Ich erlaube es. Aber ich trinke dennoch nie mehr, als ich selbst bezahlen könnte. Alte Regel für alleinstehende Mädchen.«
»Sehr vernünftig.«
»Wenn es vernünftig ist, dann nehme ich es zurück. Vernünftig macht alt. Bestellst du mir noch einen?«
Weynfeldt bestellte einen Gin-Fizz.
»Und einen Martini für den Herrn.«
Der Barman schaute Weynfeldt an. Der zuckte mit den Schultern und nickte.
»Du brauchst ihn ja nicht zu trinken«, sagte Lorena, »bei Männern ist vernünftig okay.«
»Und macht auch nicht alt?«
»Alt bist du auch so.«
Weynfeldt leistete Lorena vier Gin-Fizz lang Gesellschaft, während denen der Martini unberührt neben seinem Ellbogen stand. Als sie noch einen fünften wollte, bestand er darauf, sie nach Hause zu bringen, und bestellte ein Taxi.
»Wohin?«, fragte der Fahrer Weynfeldt.
»Wohin?«, fragte Weynfeldt Lorena.
»Keine Ahnung«, antwortete sie.
»Du weißt nicht, wo du wohnst?« Er hatte den Widerstand gegen das Du aufgegeben.
»Ich weiß nicht, wo du wohnst«, antwortete sie mit halbgeschlossenen Augen.
So kam es, dass Adrian Weynfeldt nach er wusste nicht wie vielen Jahren wieder einmal weit nach Mitternacht in Damenbegleitung nach Hause kam. Die Leute vom Sicherheitsdienst würden ihre Freude daran haben, wenn sie die Videoaufzeichnungen auswerteten.
Er schloss die schwere Haustür auf, führte Lorena herein, lehnte sie gegen die Wand, schloss die Tür wieder zu und behielt dabei seinen Gast im Auge, der jederzeit das Gleichgewicht verlieren konnte. Er holte seine Badge aus der Brieftasche, steckte sie in den
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