Der letzte Weynfeldt (German Edition)
Vorzimmer durch die Verbindungstür betreten, als sie durch die Eingangstür hereinkam. Es sei ihr »etwas langweilig ums Maul« gewesen, erklärte sie, wie immer, wenn eine Erklärung nicht zu vermeiden war. Weynfeldt ging nicht darauf ein, holte nur den Segantini-Katalog von ihrem überorganisierten Schreibtisch – auf seinem eigenen herrschte ein hoffnungsloses Chaos – und zog sich diskret zurück. Bevor er die Tür hinter sich schloss, registrierte er noch den Duft von Ingwer, Koriander und Zitronengras und beglückwünschte sich zur Eröffnung des Thai-Takeaways. Früher war das nächstgelegene ein Wurststand gewesen.
Weynfeldt wäre ohne Véronique verloren. Er war zwar ein anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Schweizer Kunst des neunzehnten und der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, man zog ihn zu Expertisen heran, und sogar die konkurrierenden Auktionshäuser hielten große Stücke auf seine Schätzungen. Aber vom administrativen, vom organisatorischen, vom führungstechnischen Teil seiner Funktion hatte er keinen blassen Schimmer. Er war ein Chaot und ein von Natur aus unpraktischer Mensch.
Zum Beispiel hatte er nie gelernt, mit einem Computer umzugehen. Zuerst hatte er es nicht gewollt, es passte nicht in das Bild, das er von sich hatte. Und später, als er es lernen wollte, hatte er es nicht geschafft. Dabei lernte er leicht. Er hatte sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen und seinen Doktor summa cum laude. Er sprach Französisch, Englisch, Spanisch und Italienisch fließend und für manchen Geschmack fast etwas zu akzentfrei und war dabei, Russisch zu lernen, was ihm selbst mit vierundfünfzig keine Mühe bereitete. Aber mit dem Computer hatte er sich nie anfreunden können.
Deshalb standen auf Véroniques Schreibtisch zwei Bildschirme. Der Computer war natürlich für seinen Job ein unverzichtbares Werkzeug. Undenkbar, dass ein Spezialist von ›Murphy’s‹ nicht über E-Mail erreichbar war, sich für seine Recherchen einer Suchmaschine bediente und von den diversen Kunstmarkt-Websites über Preisentwicklungen und Marktbewegungen auf dem Laufenden gehalten wurde. Das alles wickelte Véronique ab. Sie druckte ihm seine Post aus und tippte die Antworten ab, die er von Hand darunter schrieb. Kaum jemand ahnte, dass Weynfeldt mit dem Computer auf Kriegsfuß stand.
Auch das Handy hatte noch keinen Eingang in Weynfeldts Welt gefunden. Véroniques Versuche, ihn damit anzufreunden, waren an seinen zwei linken Händen gescheitert. Falls sie ihn im Verdacht hatte, er stelle sich absichtlich ungeschickt an, um sich einen Rest Unabhängigkeit zu bewahren, ließ sie sich das nicht anmerken. Weynfeldt war einfach nicht zu erreichen, wenn er unterwegs war. Aber er rief Véronique regelmäßig von einer der immer seltener werdenden Telefonkabinen oder von einem Restaurant aus an, um sich à jour zu halten. Zu Hause besaß er immerhin einen Telefonbeantworter. Er wusste zwar nicht, wie man diesen abhörte. Aber Frau Hauser, die seine riesige Wohnung in Ordnung hielt, konnte es.
Sie war schon die Haushälterin seiner Mutter gewesen und ging – aber das mit noch immer strammem Schritt – auf die achtzig zu. Er hatte sie erst vor kurzem dazu überreden können, sich für die Putzarbeiten eine Hilfe zu engagieren und die Wäsche in die Wäscherei zu geben. Seither traf er in seiner Wohnung Frauen unterschiedlichster Nationalitäten und Hautfarben an, die den strengen Maßstäben von Frau Hauser immer nur kurze Zeit gewachsen waren und die rasch und unzeremoniell ersetzt wurden. Sehr zum Ärger der Security-Abteilung der Bank, die die neuen Mitarbeiterinnen jedes Mal ihrem aufwendigen Sicherheitsclearing unterziehen musste.
Frau Hauser war eine sehr kleine, hagere Person mit seit Weynfeldt sich erinnern konnte lila aufgefrischtem weißem Haar. Sie betrat die Wohnung an jedem Werktag um Punkt sieben und verließ sie um fünf Uhr abends. Es sei denn, Weynfeldt hatte Gäste, dann servierte sie Häppchen, die sie selber zubereitete, oder sie kommandierte, wenn es sich um größere Einladungen handelte, aus dem Hintergrund die Brigaden des Catering Service. Sie hatte ein ehemaliges Dienstbotenzimmer in der Nähe der Wirtschaftsräume belegt, in welches sie sich zu kurzen Ruhepausen zurückzog oder wo sie, wenn es spät wurde, auch einmal übernachtete. Sie besaß die Angewohnheit, halblaut vor sich hin zu schimpfen, nicht mit Worten, sondern mit Stöhnen, Brummen, Seufzen und einem gelegentlichen
Weitere Kostenlose Bücher