Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 7 Das Schloss und seine Geister
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„Sagen Sie, was genau ist das hier?“
Der Mann trug ein grünes Hemd und eine graue Hose, was an die Uniform der Polizei erinnerte, ohne wirklich eine zu sein. In der rechten Hand hielt er eine Art Jagdmütze. Sein hellblonder Backenbart und die langen, gewellten Haare verliehen ihm etwas Rustikales, beinahe Antiquiertes. Er mochte die Fünfzig längst überschritten haben, seine Haut war rosig, und seine monumentale, schanzenförmige, tiefviolette Schnapsnase stellte alles in den Schatten, was Werner Hotten in dieser Kategorie je zu Gesicht bekommen hatte. Die breite Gestalt war von einem Geruch umhüllt, der im ersten Moment schwer einzuordnen war. Es war, wie Hotten erleichtert feststellte, nicht der Geruch von Alkohol.
Schnupftabak.
Man erwartete unwillkürlich einen bayrischen oder fränkischen Dialekt aus seinem Mund, doch der Mann sprach feinstes Hochdeutsch mit einem dünnen Hauch von Nordseeküste.
Der Beamte hatte sich dem Rektor als Kriminalhauptkommissar Dirk Fachinger vorgestellt. Dann hatte er ihm seinen Dienstausweis auf die Nase gedrückt und sich mit solcher Vehemenz ins Innere des Schlosses gedrängt, dass Hotten nicht einmal auf die Idee gekommen war, ihn nach einem Durchsuchungsbefehl zu fragen.
Jetzt wagte er es nicht mehr.
„Schloss Falkengrund beherbergt eine kleine private Universität“, erzählte der Rektor dem Besucher, was dieser ohne Frage schon wusste.
Nach dem Vorfall mit Artur und Melanie hatte Hotten damit rechnen müssen, dass die Polizei dem ehemaligen Jagdschlösschen eine Stippvisite abstattete. Er hatte nur nicht angenommen, dass es so schnell gehen würde.
Heute war Sonntag. Der Student Artur Leik, der vor einer Woche erst eingetroffen war, hatte unter undurchsichtigen Umständen seine Kommilitonin Melanie Kufleitner attackiert – unter den Augen zweier Polizeibeamter – und war festgenommen worden. Die beiden hatten zu zweit eine kleine Wanderung durch den Schwarzwald unternommen. Das alles lag noch keine 24 Stunden zurück.
Werner Hotten hatte von der weinenden Melanie eine wirre Darstellung der Ereignisse gehört. Die Studentin war am Boden zerstört. Margarete Maus, Dozentin für Magie und Hexenkunst, hatte einen Besuch bei einer Bekannten abgesagt, um bei Melanie bleiben zu können.
„Das Rathaus hat am Wochenende geschlossen“, sagte der Hauptkommissar und stiefelte mit großen Schritten in der Eingangshalle umher, als wolle er sie vermessen. „Ich konnte die amtlichen Unterlagen über dieses Institut daher nicht einsehen. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Außer den Putzfrauen war niemand da, und die wollten mich nicht an die Akten lassen. Behaupteten, sie hätten mich nie dort gesehen.“ Er schüttelte sich. „Was soll man dazu sagen? Ich habe ihnen zu erklären versucht, dass ein Kripo-Mann nicht auf dem Rathaus arbeitet. Dann behauptete eine noch, mein Ausweis sei gefälscht. Da fing ich erst an zu bereuen, dass ich mich für den Sonntagsdienst eingetragen hatte. Verstehen Sie?“
„Ein Missverständnis“, versuchte Hotten ein Lächeln. Wie immer, wenn er nicht unbedingt musste, trug er keinen Anzug, sondern legere Kleidung – heute war es eine helle Stoffhose und ein offenes Sommerhemd über einem T-Shirt. Ein kleiner Fleck am rechten Ärmel zeugte davon, dass er seiner Zweitbeschäftigung als Hausmeister nachgegangen und irgendwo im Haus etwas repariert hatte.
„Was soll’s?“, knurrte Fachinger. „Morgen werden sie mich reinlassen müssen . Und ich werde alles haarklein nachprüfen, was Sie mir heute erzählen. Also – was unterrichten Sie hier?“
Werner Hotten wusste nicht, ob er stehen bleiben oder dem Beamten bei seinen zackigen Manövern in der Halle folgen sollte. Der Frühstückstisch war vor einer Stunde abgeräumt worden, die Studenten hatten sich in alle Winde verstreut, wie das an Wochenenden so üblich war. Er war allein mit dem Polizisten, der aussah, als könne er eine Flasche Wein auf einen Zug leeren.
„Das ist schwer in einen Satz zu packen“, flüchtete der Rektor.
„Packen Sie’s in zwei.“
Hotten seufzte. „Wir unterrichten und forschen auf den ... Gebieten des Okkulten“, machte er einen Anlauf. „Geheimes Wissen, vergessene Überlieferungen, Mythologie.“ Er hatte gelernt, dass die wichtigsten drei Forschungsgebiete dieser Universität absolute Tabuwörter darstellten und Fremden gegenüber unter keinen Umständen benutzt werden durften: Es waren drei Reizbegriffe, die den meisten Menschen
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