Der letzte Weynfeldt (German Edition)
Adrian Weynfeldt kam es wie eine kleine Ewigkeit vor. So aufwühlend sie ihm damals vorkamen, jetzt sah er sie nur noch als eine kleine Bodenwelle im glatten Asphalt seines Lebensweges. Zwar hatte sich seither vieles verändert, aber es waren Veränderungen, die, so wild sie auch ausschlugen, die Konturen des großen Ganzen nicht veränderten.
Der Donnerstagstisch traf sich noch immer regelmäßig. Kando war noch immer kämpferisch und unerschütterlich im Glauben an das cinematografische Genie ihres Claudio. Dieser wirkte etwas resigniert, was ihn zu einem angenehmeren Gesprächspartner und besseren Zuhörer machte. »Arbeitstitel Hemingways Koffer« befand sich in Behandlung eines zweiten Scriptdoctors mit, wie sich der Produzent Talberger ausdrückte, »keiner guten Prognose«.
Karin Winter hatte ein Ladenlokal in besserer Passantenlage in Aussicht, was vom stillen Teilhaber ohne Stimmrecht, Adrian Weynfeldt, begrüßt wurde. Luc Neri hielt den möglichen Umzug für die Gelegenheit, die überfällige Neugestaltung des KuBu-Internetauftritts vorzunehmen, und hatte schon einmal ein paar erste Entwürfe gelayoutet. Im Moment war er nicht mit Karin, oder vielleicht doch, Adrian hatte den Überblick verloren.
Kaspar Casutt hatte das Honorar für Weynfeldts Fitnessraum in die Teilnahme an einem zwei Nummern zu großen offenen Architekturwettbewerb investiert und war für die Deckung seiner Lebenskosten bereits wieder auf gelegentliche Zuwendungen angewiesen.
Alice Waldner war unverhofft zu etwas Berühmtheit gelangt. Ihre Eisenplastik »Toto und etwas Gelbes«, die während einiger Jahre ohne Anstoß zu erregen groß und mächtig auf dem Vorplatz eines Bürogebäudes der städtischen Verwaltung gestanden hatte, wurde über Nacht von Sprayern verunstaltet. Beziehungsweise umgestaltet. Das genau war der Streitpunkt, der es über das Lokalradio und das Lokalfernsehen bis in ein zwar spätes, aber wichtiges Kultursendegefäß des öffentlich-rechtlichen Fernsehens geschafft hatte. Alice war dabei über zwei Minuten im Bild gewesen und hatte, wie ihr Adrian immer wieder versicherte, zum Fressen ausgesehen.
Rolf Strasser war in Venice, California. Auf den Marquesas hatte er es nur zwei Wochen ausgehalten, Inselkoller. Er war auf dem Weg zurück in Los Angeles hängengeblieben und dort mit einer Gruppe Künstler in Kontakt gekommen, besonders mit einer chinesischen Performerin namens Syun, wie er Weynfeldt begeistert mailte.
Vor seiner Abreise hatte er den Vallotton aus Klaus Baiers Nachlass zweifelsfrei als Auftragsarbeit aus seiner Hand identifiziert. Dies und die notariell beglaubigte Bestätigung des anonymen Sammlers Nummer dreiunddreißig, dass er keine Zweifel an der Echtheit seiner Errungenschaft hege, hatten Theo L. Pedroni auf Rat seines Anwalts dazu veranlasst, die falschen Anschuldigungen sowohl gegen Dr. Adrian Weynfeldt als auch gegen Frau Lorena Steiner fallenzulassen.
Pedroni selbst befand sich angesichts seiner Vorstrafen und der dadurch zu erwartenden Höhe der Strafe noch immer in Untersuchungshaft.
Für Véronique hatte Weynfeldt tatsächlich eine Lohnerhöhung durchgesetzt. Sie investierte sie vornehmlich in ihre A-Garderobe, wie sie die Kleider für ihre schlanken Zeiten nannte. Aus atmosphärischen Gründen sehnte Adrian still die B-Garderobe wieder herbei.
Der Crosstrainer meldete, dass die fünfzehn Minuten vorbei seien und die Abkühlphase begonnen habe. Adrian reduzierte die Kadenz.
Im Kreise seiner betagteren Freunde gab es keine Veränderungen zu verzeichnen. Zum Glück, denn bei Leuten ihres Alters verändern sich die Dinge selten zum Besseren.
Außer bei Mereth Widler. Sie, die ihr Lebtag vergeblich versucht hatte, ihre Kreise zu schockieren, hatte es keine zwei Monate nach dem Tode ihres Mannes endlich dadurch geschafft, dass ein fünfzehn Jahre Jüngerer bei ihr einzog, mit dem sie, wie sie freimütig bekannte, seit über zehn Jahren eine Liaison pflegte.
Adrians Kreislauftraining war zu Ende. Er frottierte sich den Schweiß vom Gesicht und schaltete die Musik aus. Jetzt begann die liebste Phase seines morgendlichen Trainings: die kontemplative.
Er setzte sich in den bequemen Volkssessel von Werner Max Moser, einem Original von 1931, dem einzigen Stück aus seiner Möbelsammlung, das er in diesen Raum gestellt hatte, und gab sich der Betrachtung hin.
Der gelbe, braun gemusterte Teppich, beleuchtet von der tiefstehenden Lichtquelle irgendwo rechts hinten, außerhalb des Bildes. Die
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