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Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Titel: Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Winterson
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Blick aufs Meer. Sie trug das Tablett so langsam, dass der Tee längst kalt war, wenn sie endlich sein Zimmer erreicht hatte, und jeden Tag entschuldigte sie sich aufs Neue dafür, und jeden Tag beschwichtigte er sie und trank ein oder zwei Schlucke der blassen Flüssigkeit. Sie war darauf bedacht, Teeblätter zu sparen.
    An jenem Morgen lag er im Bett und hörte das Klimpern der Tassen auf dem Tablett, während sie langsam auf ihn zukam. Bestimmt wieder Haferbrei, dachte er, der schwer wie ein Fehler im Magen lag, und rosinenbesetzte Muffins, jeder Bissen eine Anklage. Die neue Köchin – die sie eingestellt hatte –buk einfaches Brot und hatte etwas gegen »Verspieltes«, wie sie das nannte, auch wenn ihm nicht klar war, was an einer Rosine verspielt war.
    Kaffee wäre ihm lieber gewesen, aber Kaffee war viermal so teuer wie Tee.
    »Wir sind nicht arm«, sagte er zu seiner Frau, die ihn darauf hinwies, dass man das Geld doch für eine bessere Sache aufwenden könne als für Frühstückskaffee.
    War das so? Er hatte seine Zweifel, und jedes Mal, wenn er eine verdienstvolle Dame mit einer neuen Haube sah, schien es ihm, als entströmte dieser Haube ein aromatisch dampfender Duft.
    Die Tür ging auf, sie lächelte – nicht in seine Richtung, sondern in Richtung Tablett, denn sie musste sich konzentrieren. Gereizt dachte er, dass sich jede Seiltänzerin aus dem Hafenviertel geschickter angestellt hätte, hätte sie ein solches Teetablett über ein Schiffstau von Mast zu Mast balancieren müssen.
    Mit ihrer üblichen Miene, einer Mischung aus Ehrgeiz und Opferbereitschaft, setzte sie es ab.
    »Lass es dir schmecken, Babel«, sagte sie wie immer.
    Er lächelte und griff nach dem kalten Tee.
     
    Wie immer. Sie waren nicht lange genug verheiratet für ein wie immer.
    Sie waren neu, jungfräulich, frisch, frei von Gewohnheiten. Warum beschlich ihn das Gefühl, schon seit einer Ewigkeit im Bett zu liegen und schlückchenweise kalten Tee zu sich zu nehmen?
    Bis dass der Tod uns scheidet.
    Ihn schauderte.
    »Dir ist kalt, Babel«, sagte sie.
    »Nein, nur der Tee ist kalt.«
    Sie wirkte gekränkt, zurechtgewiesen.
    »Ich koche den Tee, bevor ich die Muffins aufbacke.«
    »Vielleicht wäre es umgekehrt besser.«
    »Aber dann würden mir die Muffins kalt werden.«
    »Sie sind kalt.«
    Sie nahm das Tablett. »Ich mache dir ein neues Frühstück.«
    Es war genauso kalt wie das erste. Er brachte die Sache nie wieder zur Sprache.
     
    Er hatte keinen Grund, seine Frau zu hassen. Sie hatte keine Fehler und keine Fantasie. Sie klagte nie und sie war nie zufrieden. Sie bat niemals um etwas und gab niemals etwas – außer den Armen. Sie war bescheiden, milde, gehorsam und bedächtig. Sie war so öde wie ein windstiller Tag auf See.
    In der Flaute, die sein Leben war, begann Dark seine Frau zu verhöhnen, anfangs nicht einmal aus Grausamkeit, sondern um sie zu prüfen, vielleicht auch, um sie überhaupt zu finden. Er wollte bis zu ihren Geheimnissen und Träumen vordringen. Er war kein Mann, der guten Morgen und gute Nacht sagte.
    Wenn sie zusammen ausritten, verpasste er ihrem Pony gelegentlich einen scharfen Peitschenhieb, und das Tier galoppierte davon. Die Frau krallte sich krampfhaft in der Mähne fest, denn sie war keine geübte Reiterin. Genüsslich sah er die schiere Angst in ihrem Gesicht – endlich eine Regung, dachte er.
    An Tagen, wo Pew mutig gewesen wäre, mit dem Rettungsboot hinauszufahren, ging Dark mit ihr segeln. Er weidete sich an ihrem Anblick, durchnässt und spuckend, während sie ihn anflehte, umzukehren, und sobald sie das Boot, fast bis zum Kentern voll gelaufen, zurückgebracht hatten, erklärte er, was für ein prächtiger Segeltag das gewesen sei, und zwang sie, an seiner Hand zurück zum Haus zu gehen.
    Im Schlafzimmer drückte er ihren Kopf nach unten, packtesie mit einer Hand im Nacken, machte sich mit der anderen steif und stieß sich mit einer einzigen raschen Bewegung in sie hinein wie einen Holzpflock in das Zapfloch eines Fasses. Wenn er fertig war, hatte sie seine Fingerabdrücke auf dem Hals. Er küsste sie nie.
    Wenn er Lust auf sie hatte, und er hatte niemals Lust auf sie persönlich, aber hin und wieder, weil er ein junger Mann war, ging er langsam die Treppe zu ihrem Zimmer hoch und stellte sich dabei vor, er trüge ein Tablett mit fettigen Muffins und einer Kanne kalten Tees. Er öffnete die Tür und lächelte, aber nicht in ihre Richtung.
    Wenn er mit ihr fertig war, setzte er sich auf

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