Der Liebesbeweis
Katie an. “Und hier ist unser allabendlicher Tipp aus dem Kamasutra. Seid ihr der üblichen, ewig gleichen Stellungen überdrüssig? Dann probiert das, Ladies – setzt euch auf ihn, presst die Beine zusammen und vollführt eine Drehbewegung. Lasst mich wissen, ob es bei euch funktioniert, ja?”
Jess hustete, um seine Bestürzung zu verbergen. Suzanne hatte ihm den ganzen Abend sexuelle Signale gesandt. Dieser Beitrag würde sie nur anspornen.
“Eine interessante Vorstellung”, bemerkte sie prompt. “Hat eine Frau das je mit dir probiert?”
“Nicht direkt.”
“Ich finde, es hört sich nach viel …”
“… Arbeit an”, meinte Jess.
“Nein, das wollte ich nicht sagen. Ich finde …”
“Heute Abend begrüßen wir Dr. Janice Astorbrooke im Studio.” Katies Stimme übertönte, was Suzanne sagen wollte. “Dr. Astorbrooke ist die Autorin von ‘Himmelwärts streben – Sexualsymbolik in der Architektur’.”
Jess fuhr weiter, obwohl die Ampel Gelb zeigte. Als hätte der Kamasutra-Tipp noch nicht genug Ärger verursacht, musste er sich jetzt auch noch eine Diskussion über Hochhäuser als Phallussymbole anhören.
“Kommen wir gleich zum Thema, Dr. Astorbrooke. Auf Ihrem Weg hierher haben Sie sicher bemerkt, was mit unserem netten kleinen Studio passiert. Eine so tiefe Baugrube bedeutet, dass das Fundament für ein sehr hohes Gebäude entsteht. Vierzig Stockwerke hoch, um genau zu sein.”
Dr. Astorbrooke besaß die tiefe Stimme einer starken Raucherin. “Katie, solange wir Männern erlauben, Gebäude zu entwerfen, werden wir immer höhere Häuser sehen. Mit vierzig Stockwerken ist dieses noch bescheiden.”
“Aber wir sind in Tucson, nicht in Manhattan”, gab Katie, Leidenschaft in der Stimme, zu bedenken.
“Mir ist aufgefallen, dass es sehr wenige Hochhäuser gibt. Die Motivation ist jedenfalls dieselbe, egal, wie hoch sie sind.”
Jess wappnete sich innerlich.
“Und welche Motivation soll das sein, Dr. Astorbrooke?”, fragte Katie.
“Kompensation für sexuelle Unzulänglichkeit.”
“Vorsicht!”, schrie Suzanne.
Jess trat auf die Bremse und verfehlte nur knapp den Wagen vor ihm. “Tut mir leid”, sagte er automatisch, in Gedanken jedoch noch ganz bei dem, was er gerade gehört hatte. Sexuelle Unzulänglichkeit? Blödsinn. Er verdiente gutes Geld mit dem Bau des Bürokomplexes und kompensierte überhaupt nichts.
“Faszinierend”, bemerkte Katie. “Es ist also so ähnlich wie die Vorliebe für PS-starke Autos?”
Katie konnte nicht wissen, dass er einen Jaguar fuhr. Trotzdem zuckte er zusammen.
“Genau so, nur noch auffälliger”, bestätigte Dr. Astorbrooke.
Suzanne lachte erneut schrill. “Mir ist gerade etwas klar geworden. Die Frau redet von deinem Hochhaus, stimmt’s?”
“Meine Firma baut es, aber ich habe es nicht entworfen.” Ja, ja, dachte er, gib ruhig dem Architekten die Schuld. “Aber mir gefällt der Entwurf”, zwang er sich hinzuzufügen.
Während Dr. Astorbrooke ihre Theorie detailliert erklärte, registrierte Jess, dass Suzanne auf seine Hose starrte.
Endlich machte Katie eine Werbepause. Noch nie war Jess so froh gewesen, Werbung für Autoreifen zu hören.
“Du hast mehrere Hochhäuser in der Stadt gebaut, nicht wahr?”, fragte Suzanne.
“Darauf sind wir spezialisiert.” Ja, er arbeitete gern an hohen Gebäuden, doch hatte es für ihn keinerlei sexuelle Bedeutung. Er mochte Sex. Und er war wahrhaftig kein schlechter Liebhaber. Sex war eine Sache, Arbeit eine andere. Für ihn hatte das eine nichts mit dem anderen zu tun.
“Und wieso bist du darauf spezialisiert?”
“Ich mag die Herausforderung, die mehrstöckige Gebäude darstellen.” Er hatte nicht vor, von seiner Faszination für Stahlträger oder seine Liebe zu Baukästen als Kind zu erzählen. Das würde bloß falsch interpretiert werden. Wenn er sagen musste, weshalb er gerne an Hochhäusern arbeitete, würde er möglicherweise zugeben, dass er die Macht und das Ansehen bewunderte, das sie repräsentierten. Als Sohn einer Kassiererin und eines Vaters, der ständig auf der Flucht vor dem Gesetz war, waren Macht und Ansehen etwas, das Jess während seiner Kindheit und Jugend nie kennengelernt hatte.
“Was hältst du von dieser Theorie?”
“Gar nichts. Sie ist Unsinn.” Jess hielt an einer roten Ampel.
“Natürlich ist sie Unsinn.” Suzannes Ton war plötzlich anzüglich. “Du bist ganz offensichtlich ein sehr männlicher Typ.”
Verdammt. Was sollte er tun, wenn sie
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