Der Liebessalat
Abend zu überstehen. Nun war er in der glücklichen Lage, die Eintracht bei klarem Verstand genießen zu können.
»Schon gut«, sagten die Frauen. Es war erst halb acht. Sie berieten, in welches Kino sie zusammen gehen sollten. Das war das Paradies. Nicht die Viertausender. Einen Kinobesuch zu planen gehörte zu den Höhepunkten des Daseins. Viktor suchte mit aus.
»Ich glaube kaum, daß du mitgehst«, sagte Ellen plötzlich zu Viktor – wie eine verletzte Mutter, die ihren mißratenen Sohn disziplinieren will, wie eine Lehrerin, die sich mit Drohungen durchzusetzen versucht. Viktor haßte diesen Ton. Er kam selten von Ellen. Er hatte sich zu früh gefreut. »Ich glaube kaum. daß du mitgehst«– noch so ein Satz, und er würde für immer aus Ellens Welt verschwinden. Sie war offenbar doch nicht die souveräne moderne Frau, die er eben noch in ihr gesehen hatte.
»Wie meinst du das?« fragte er scharf zurück, »was soll das bitte heißen: du glaubst kaum, daß ich mit ins Kino gehe?«
Ellen genoß ihre Antwort: »Du mußt den Anrufbeantworter abhören«, sagte sie, sah auf die Uhr und wandte sich zu Penelope: »Komm, wir gehen!« Dann wieder zu Viktor: »Sei so nett und wasch die Fischteller ab, das stinkt sonst so. Die Spülmaschine ist voll. Und vergiß nicht: der Anrufbeantworter! Unglaublich, was da alles drauf ist: Der Filmproduzent will was von dir, Ira hat sich für morgen oder übermorgen angesagt. Und auch das Fräulein Strindberg hat sich gemeldet und würde gern mit dir ins Kino gehen. Und die Tscherkessin ist in Zürich, heute, soweit ich verstanden habe, diesmal in einem Hotel, sie bittet um Rückruf.« Zu Penelope sagte Ellen: »Unglaublich, was Viktor für ein begehrter Typ ist.«
Schon war Ellen im Flur. »Komm, Penelope, komm!«
Penelopes Gang war wiegend. Als trüge sie einen Rucksack. Er wirkte in einer Stadtwohnung fast fehl am Platz. Ellen stand im Treppenhaus und drängte. Viktor quälte die Eifersucht, aber er nahm sich zusammen: »Viel Spaß«, rief er den aufbrechenden Frauen hinterher. Penelope hatte das Problem des Abschiedsgrußes gelöst, in dem sie sich gar nicht von Viktor verabschiedete. Auch gut: kein verlogener Kuß mit Getuschel am Ohr, kein verschwörerischer Handschlag. Sie ging mit großen Schritten durch die offene Wohnungstür davon. Im Treppenhaus aber drehte sie sich doch noch einmal zu dem zurückgelassenen Viktor um: »Ciao Stambecco«, rief sie, laut, fast wie in den Bergen, »nicht verzweifeln!« Dann ging sie hinter Ellen die Treppe hinunter. Die Wohnungstür hatte sie offengelassen. Viktor schlich in den Hausflur und blickte das alte Treppenhaus hinunter. Er sah die rechte Hand Ellens, und eine Treppe höher die rechte Hand Penelopes das Geländer abwärtsgleiten.
»Wie hast du ihn genannt?« hörte er Ellen fragen.
»Stambecco«, sagte Penelope.
Als die beiden Frauen schon unten waren, fragte Ellen: »Was heißt das, Stambecco?«
»Steinbock«, sagte Penelope.
Auf dem Anrufbeantworter beschwerte sich der Filmproduzent in drei aufeinanderfolgenden Anrufen, daß Viktor nicht erreichbar sei und kein Handy habe. Es gebe Neuigkeiten. Er solle nach der Post sehen. Tatsächlich war ein Brief da. Demnach gab es einen neuen Co-Produktions-Interessenten, der jedoch fand, der Held in Viktors Drehbuch sei ein Typ, der die Frauen erobern, aber nicht halten könne. Genau diese Eigenschaft müsse etwas deutlicher herausgearbeitet werden, dann werde es mit der Verfilmung endlich klappen. Viktor schrieb auf ein Blatt: »Ohne mich! Ich will nie wieder etwas von Ihnen hören! Ich bin gerade dabei das zu tun, was mein Held angeblich nicht kann.« Das Blatt faxte er sofort an die Produktionsgesellschaft. Was für ein infames Ansinnen! Das Fax ging nicht durch. Besetzt! Wieso war da abends um acht besetzt? Viktor schrieb noch dazu: »Erobern ist Gesellenkunst. Damit geben wir uns nicht ab, my hero and I.« Als die Leitung frei war, sendete er das Fax.
Das Fräulein Strindberg hatte tatsächlich auf das Band gesprochen: »Hi, hier Selma, in Luzern läuft ein ganz toller Film, wie wär’s?« Und das nach fast einem Jahr eisernen Schweigens. Viktor war froh, in seiner stabilen Verfassung nicht auf solche Angebote angewiesen zu sein. In den nächsten Tagen würde das Fräulein Zurechtweisungspost von ihm erhalten.
Dann schrieb Viktor an Sabine: »Du hast mein Geheimnis ausgeplaudert, du Tulpe, aber da dein Motiv Anteilnahme wegen meines Lawinentods war, geht das in Ordnung.
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