Der Liebessalat
Beherrschung und raste frontal und wütend über so viel irdisches Glück auf ihr Auto zu und zerteilte das Paar mit seiner mörderischen Maschine, kein Lastwagen kippte und begrub die beiden unter sich. Viktor fuhr allerdings so langsam, daß es ein Abgesandter der Hölle schwer gehabt hätte, die beiden fröhlichen Sünder mittels Unfall ins Jenseits zu holen.
»Warum fährst du so langsam, Viktor?« fragte Penelope.
»Der Mensch ist lernfähig«, sagte Viktor und erzählte Penelope von den Hunderten von Filmen, die es gab, in denen die Bankräuber ihr Geld, und die Ehemänner ihre Geliebten, und die Goldgräber ihr Gold, und die Draufgänger ihren Lohn bekamen. Und was machten sie? Sie freuten sich wie die Verrückten, fuhren auf Bergstraßen vor Überglück Slalom – hinein in den Abgrund. Lohn der Angst. Er hingegen, sagte Viktor, wolle das Überglück noch etwas länger kosten. Im übrigen fahre er nicht nur aus Vorsicht so langsam dahin, sondern um so lange wie möglich mit Penelope zusammen zu sein, um so viel wie möglich mit ihr reden zu können, um so oft wie möglich seine Hand auf ihr kleines knochiges kühles Knie legen zu können –»nur um dieses Knie zu wärmen, versteht sich«, sagte er – und um exzessiv die Musik zu hören, die er für diesen Anlaß zusammengestellt hatte.
Hundert Mal in seinem Leben oder doch wenigstens ein Dutzend Mal, seitdem er mit achtzehn Jahren seinen Führerschein gemacht hatte, hatte er immer wieder unverdrossen Musikkassetten für Fahrten mit Frauen zusammengestellt, zu denen es nie gekommen war, weil diese Frauen gar nicht daran dachten, sich von Viktor chauffieren zu lassen. Doch all diese Kassetten besaßen eine Kraft, die sie auch ohne die Person entfalteten, für die sie gedacht waren. Es waren sämtlich ungenutzte Waffen, vergebliche musikalische Versuche, außereheliche Herzen zu bezirzen. Diese für den Seitensprung gedachten Kassetten waren dann wenig später immer bei ehelichen Fahrten zum Einsatz gekommen, mit Schrecken hatte Viktor die verführerischen Laute vernommen, als wäre ihnen der betrügerische Hintergedanke anzuhören. Obwohl Ella, Ira und Ellen alles Ehefrauen mit einer guten Witterung waren, schöpften sie seltsamerweise nicht nur keinen Verdacht, sondern zeigten sich sogar noch begeistert von Songs, die ihnen sonst zu hart, zu kitschig, zu verlogen, zu obszön, zu aufgewühlt, zu monoton, zu primitiv waren. Nun aber sangen sie mit und schnippten mit den Fingern, so wie andere nichtsahnende Frauen hätten mitsingen und mit den Fingern schnippen sollen und lieferten damit einen weiteren Beweis dafür, daß Ironie die Welt zusammenhält, sogar die Welt der Liebenden.
Mehrmals war dieses Wunder geschehen: statt Ira hatte Ella ausgelassen mit dem Oberkörper auf dem Nebensitz Tanzbewegungen gemacht, und später Ira statt Valeska. Und noch später war statt der Nasenring-Tina und dem Fräulein Strindberg Ellen in Fahrt geraten wie schon lange nicht mehr. Nie hätte Viktor vermutet, daß Ellen für die Doors und ihren Todesengel Jim Morrison schwärmen würde und für so etwas Abartiges wie die Raub-Mitschnitte von Rock ‘n’ Roll-Nummern diverser Bob-Dylan-Konzerte. Sie mußte instinktiv ahnen, daß hier eine Chance bestand, Rivalinnen auszubooten. Diejenigen, für die die Töne gedacht waren, hatten oft ihre Näschen gerümpft bei der Musik, die Viktor ihnen in Ermanglung gemeinsamer Liebesfahrten per Post hatte zukommen lassen. Diese undankbaren Geschöpfe hatten den Namen nichtswürdiger Popgruppen genannt, als könne man damit die musikalischen Schätze, die sie von Viktor erhalten hatten, kritisch kommentieren. Bei Penelope aber kam die Musik an, generationsübergreifend, und Viktor fand, nach all den grausamen Irrtümern hatte er diesen Erfolg verdient.
Ständig wurde das gemächlich dahinrollende Liebespaar von anderen Autos überholt, deren Fahrer dabei genervt und verächtlich einen kurzen Blick ins Innere des hinderlichen Fahrzeugs warfen und zum Teil den Kopf schüttelten oder gar hupten, als sie erkannten, daß hier nicht ein halbblinder Rentner mit seiner uralten Mutter unterwegs war, sondern ein wohlgelaunter Mann in den besten Jahren mit einer jungen hübschen wohlgelaunten Frau, also zwei Menschen, die keinerlei Recht hatten, den Fluß des schweizerischen Verkehrs aufzuhalten. Selbst bei dieser Fahrweise würden Viktor und Penelope in einer Stunde in Zürich ankommen. Der Gedanke an die dann bevorstehende Trennung begann ihm
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