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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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zeitweise Panikanfälle gehabt hätte – angesichts der Frage nämlich, ob ihre Neigung für ihn womöglich nicht etwa nur ausgeschlossen, sondern schon erloschen sei. Erst ihr Stambecco-Zuruf beim Gehen habe ihn wieder beruhigt und gezeigt, daß sie nicht vergessen habe, daß sie beide zum Stamm der alpinen Paarhufer gehörten. Welcher Schlag und welcher gerechte Ausgleich zugleich, daß sie mit Ellen ins Kino gegangen sei. Dann pries Viktor die Gegenwart, die ihnen immerhin allerlei erlaubte. In ein paar Jahrzehnten, schrieb er, leider zu spät für ihn, werde es möglich sein, zu dritt ins Kino zu gehen, ohne daß es zu Krämpfen komme oder sich ein Mann zwischen zwei Frauen wie ein selbstgefälliger Mormonengockel vorkommen müsse. Er wunderte sich darüber, daß selbst ein so primitives Ding wie eine Erektion so verschieden sein könne, verriet ihr, daß sein Stambecco einen völlig anderen Charakter habe, wenn er durch die Gazzella delle alpi beseelt sei, dann nämlich komme er ihm vor wie ein höflicher Geselle, der bescheiden anklopfe und um Unterschlupf bäte, während derselbe Apparat, von weniger anmutigen Frauen in Erregung versetzt, auch ein zudringlicher oder gar blindwütiger Rammbock sein könnte. Hierbei dachte Viktor mit Schrecken an die Tscherkessin und ihre exzessiven Vorlieben und an die morgige Nacht. Es war ihm mehr danach zumute, sich mit Penelope zu umranken, sie zu bitten, ihre Arme zu Efeu werden zu lassen und sich der vegetabilen Lust hinzugeben und ein wenig miteinander zu verwachsen.
    Diesen Brief sollte Penelope so bald wie möglich lesen und das Tom-Archia-Stück so bald wie möglich hören, deswegen eilte Viktor zu dem Haus, in dem sie wohnte, und stieg in den vierten Stock. Es war jetzt fast zwei Uhr, sie würde mit Ellen nach dem Kino noch ein Glas getrunken haben und nun süß schlummern, allein oder eher neben Urs, den sie in vier Wochen heiraten würde. Auf dem Berg hatte er sie gefragt, ob sie als verheiratete Frau auch gekommen wäre, und sie hatte gesagt: »Spinnst du, ich bin hier weder als Fräulein noch als Frau, sondern als Penelope, die Berg-Gazelle.«
    Viktor saß mit seinem Brief und der Kassette in der Hand auf einer alten durchgetretenen Treppenstufe vor Penelopes Wohnungstür, und sein Vorgänger Walther von der Vogelweide fiel ihm ein, der vor achthundert Jahren mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Stein gesessen und unter anderem über den Lohn der Liebe nachgedacht hatte. Morgen würde er Penelope schreiben, wie er eine Weile auf dieser Stufe gesessen und ihre Nähe genossen hatte – und auch die Gefahr: Schließlich könnte Urs, ihr Zukünftiger, jederzeit von irgendwoher auftauchen und ihn hier an der Schwelle der Tür seiner Braut sitzen sehen. Etwas peinlich. Aber auch pikant. Was sie dann miteinander reden würden, würde er Penelope schreiben. Sie liebte solche Phantasien. Natürlich würde sich mit Urs über Termine reden lassen: Wann es ihm, Urs, recht sei, daß er, Viktor, mit ihr, Penelope, den nächsten Viertausender in Angriff nähme?
    Ellen hatte übrigens von allen Frauen, die er kannte, nackt die beste Figur. Das war ihm neulich aufgefallen, als sie der Wanne entstieg. Sie hatten sich gerade gestritten, und er konnte es ihr nicht sagen, weil sie es für Zynismus gehalten hätte. Er würde jetzt nach Hause fahren und ihr das ins Ohr flüstern. Er würde sie bei der Gelegenheit fragen, ob sie sich an diesen frühen Film von Truffaut erinnere:
Die süße Haut
. Auch ein Schriftsteller – der aber etwas mit einer Stewardeß anfängt. Dann das große Hin und Her. Er kann sich nicht entscheiden. Als brächte eine Entscheidung die Lösung. Schließlich knallt seine Frau den Kerl in einem Café ab wie einen räudigen Hund. »Danke, daß du mich bisher nicht durchlöchert hast!« würde Viktor zu Ellen sagen.
    Die morgige Nacht würde unweigerlich der Tscherkessin gehören. In seinem nächsten Roman würde ein Ehemann vor seiner Frau beim Frühstück über einen bevorstehenden strapaziösen Liebesdienst seufzen, und sie würde antworten: »Du bist wirklich nicht zu beneiden.« Das war der Unterschied zwischen Literatur und Wirklichkeit. Übermorgen wollte Viktor nach Frankfurt fahren, unter anderem, um das Buch mit den Gesängen des Walther von der Vogelweide aus der Wohnung zu holen. Es war an der Zeit, sich ein wenig mit der hohen Minne zu befassen.
    Vielleicht hatte er zu tief gedöst: Mit einem Mal, ohne das Viktor zuvor Schritte und Stimmen

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