Der Liebessalat
würde er mit folgender Position in die Verhandlungen gehen: Stabilisierung der Ehe durch Abwehr von Ellens freundlichen Übernahmeversuchen. Erstes Ziel: Erhalt der Erotik in seinem Verhältnis zu Penelope, da sonst schwerste Einbrüche im Goldmannschen Wirtschaftsimperium zu befürchten wären. Zweites Ziel: Ellens generelle Tendenzen zu Enterotisierungs- und Entsexualisierungskampagnen mit einer Resexualisierungskampagne beantworten. Denn nur wenn das sorgsam austarierte System des Begehrens nicht unter Ungleichgewicht litt, nur wenn das Netzwerk der Erotik ohne große Störungen funktionierte, nur dann funktionierte es auch mit Ellen. Jeder gelungene Enterotisisierungscoup hatte auch ihrer Ehe geschadet.
Im Augenblick wollte er zwar nichts anders als Ellens friedlicher geläuterter Ehemann sein, der ab und zu mit Penelope in den Bergen verschwindet, dort ihre feinen Hufe bewundert, ihr mit seiner Steinbockschnauze ein bißchen ans Gazellenfell geht und sie fragt, ob sie ihm einen Rat geben könne, was er mit diesem seltsamen dritten Horn anstellen solle, was ihm bei gewissen Gazellenzärtlichkeiten manchmal wachse. Aber Viktor wußte: Das war eine Illusion. Ganz so genügsam konnte er nicht leben. Drei Mal im Jahr Ira sollte noch möglich sein und auch zweimal im Jahr Tscherkessin, damit er vor lauter Steinbocksein nicht vergäße, auch wieder einmal orientalischer Scheich zu sein – einfach, um die Freude an der Vielfalt der Liebe nicht zu verlieren, um nicht zu verarmen an Leib und Seele. Hingegen war er bereit zu einer Verzichterklärung in Sachen Nasenring-Tina, obwohl dies eine Einbuße war und die Facetten der Persönlichkeit einschränkte. Er würde auch schweren Herzens darauf verzichten können, es bei dem Fräulein Strindberg noch einmal zu versuchen, obwohl es umwerfend sein müßte, wenn sie sich nach langem Zaudern zur Hingabe entschlösse. Und er würde nie mehr von jener indischen Schönheitskönigin träumen, die er einst auf einer Almwiese oberhalb Berns beim Drehen eines indischen Liebesfilms beobachtet hatte und deren Liebes-Blick er peinlicherweise immer noch nicht ganz vergessen hatte, obwohl dieser Blick erstens gespielt war und zweitens gar nicht ihm gegolten hatte.
Penelope würde sich alle gazellennaselang von ihrem Urs mit einem Küßchen verabschieden und mit ihrem Steinbock einen Ausflug in die Berge unternehmen, um der Paarhuferliebe zu frönen. Und Viktor würde nie aus Ellen schlau werden, und auch das war gut, denn je unsicherer er war und je mehr er sich nach Klarheit sehnte, desto besser würde das für seine Ehe sein, die wie alle Ehen nur als möglichst undurchsichtiges Gebilde zu ertragen war. Immer, wenn Viktor und Ellen mit dem Auto nach Italien fuhren, fiel ihnen das Verkehrsschild auf, das vor schnellem Fahren bei Nebel warnte: »in caso di nebbia«. Wenn ich Dichter wäre, würde ich dazu ein Gedicht schreiben, hatte Ellen schon mehrmals gesagt – und das, obwohl sie keine Gedichte mochte.
Um sieben Uhr würde Penelope kommen. Viktor wollte keinesfalls um diese Zeit schon zu Hause sein und dann als Ehemann im Weg herumstehen. Er ließ sich Zeit und kam um halb acht. Jetzt würden die Forellen langsam aus der Pfanne oder aus dem Rohr kommen, es war günstig, in Augenblicken dieser leichten Hektik hinzuzukommen, eine heiße Platte anzufassen und mannhaft an den Eßtisch zu tragen und ruckzuck einen Wein zu entkorken. Denn Viktor hatte Angst. Angst davor, daß Penelope seinem Blick ausweichen würde. Da würde es gut sein, wenn er sich auf das Korkenziehen konzentrieren konnte.
Der Wein war schon offen, der Fisch auf dem Tisch.
»Sorry«, sagte Viktor, »es ging nicht früher.«
»Wahnsinn, Sie glauben nicht, was freie Schriftsteller heute alles zu tun haben«, sagte Ellen zu Penelope. Zu Viktors Entsetzen siezte sie Penelope. Das könnte zu Komplikationen führen. Viktor war kurz davor »Wir lieben uns!« herauszubrüllen, um dem Spuk ein Ende zu machen. Ellen kam dieser schamlosen Unvernünftigkeit zum Glück zuvor, in dem sie das Glas hob: »Prost – ich glaube, wir sagen jetzt alle ‘du’, ist das in Ordnung?«
»Super«, sagte Penelope.
Das Essen verlief ohne Krämpfe. Sie plauderten über alles mögliche, auch über die Besteigung des Monte Rosa, und zwar so, als wäre das Treffen auf dem Gipfel das Normalste der Welt gewesen. Ein sportlicher Kick, besonders für Penelope. Es war möglich, den Zauber der Begegnung bei der Schilderung einfach wegzulassen.
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