Der Liebestempel
Stimme
klang so warm, daß ich dachte, an der Telefonverbindung müßte etwas nicht in
Ordnung sein. »Haben Sie das rothaarige Mädchen gefunden?«
»Sie ist hier und heil und
unversehrt«, sagte ich. »Wenn ich diese Leute hier losgeworden bin, fahre ich
nach Hause. Die restlichen Details kaue ich mit dem Sheriff morgen
vormittag durch, aber nicht zu früh.«
»Ich werde es ihm ausrichten«,
sagte sie und legte dann schnell auf.
Es dauerte ungefähr zehn
Sekunden, bis der erste Streifenwagen eintraf. Ich übergab Justine den Beamten, erklärte ihnen, wo sie Annan finden konnten, und gab ihnen den
Schlüssel. Dann wies ich sie an, beide wegen Mordversuchs festzunehmen, womit
sie bis zum nächsten Morgen versorgt waren.
Der zweite Wagen traf fünf
Minuten später ein, und Cherie blickte mich hoffnungsvoll an, bevor die Beamten
eintraten. »Kann ich jetzt gehen?« fragte sie.
»Sie haben wohl nicht alle
Tassen im Schrank?« schrie ich. »Sie sind Hauptzeugin. Sie werden auf
Staatskosten in einem Hotel untergebracht, und ein Polizeibeamter bleibt bis
zur Gerichtsverhandlung vierundzwanzig Stunden am Tag bei Ihnen.«
»Na gut.« Sie schluckte mühsam
und begann zu lächeln. »Vermutlich könnte es schlimmer sein. Ich meine — ein
nettes Hotelzimmer und ein großer, abgebrühter Polyp, der mir vierundzwanzig
Stunden pro Tag Gesellschaft leistet!«
Es war gegen acht Uhr, als ich
in meine Wohnung zurückkam und mir einen Drink eingoß .
Eigentlich hätte ich müde sein sollen, aber das war ich gar nicht — eher unbefriedigt.
Trotz allem konnte ich nicht umhin, mich zu erinnern, wie Justine ausgesehen hatte, als ich ins Schlafzimmer getreten war und sie dort nackt in
dem milden Lampenlicht hatte sitzen sehen. Was mich ärgerte, war, daß ich einer
solchen pubertären Erinnerung nachhing, nachdem das Frauenzimmer versucht
hatte, mich nicht nur ein-, sondern zweimal umzubringen! Deshalb goß ich mir
erneut das Glas voll und begann, mir die passenden Beleidigungen auszudenken,
die ich morgen vormittag Lavers an den Kopf werfen wollte. Aber das Ganze entbehrte des richtigen Genusses, und
ich begann gerade ernsthaft zu überlegen, ob ein früher Nachtschlaf nicht das
richtigste für mich wäre, als es an der Wohnungstür klingelte. Falls es Lavers war, entschied ich, war es das nächstliegendste ,
einen Stock zu ergreifen und mit ihm die Treppe hinunter Golf zu spielen.
Dann öffnete ich die Tür, und
eine Art blonder Traumvorstellung tänzelte an mir vorbei. Ein schimmernder
blauer Kaftan wallte von ihren Schultern und wirbelte wie eine große Wolke um
ihre Oberschenkel. Ich schloß die Tür wieder, denn der Traum befand sich
bereits weit hinter meinem eigenen Rücken, und kehrte langsam ins Wohnzimmer
zurück. Die blaue Wolke schwebte über dem HiFi -Gerät,
und gleich darauf schwebte sie in die Küche. Ich stand da, lauschte auf eine
der wunderbaren alten Ellington-Platten und hoffte dumpf, daß ich außer meinem
Verstand nichts Schlimmeres verloren hätte. Die blaue Wolke kam wieder aus der
Küche zurückgestürmt und kam vor mir zum Stillstand. Meine Finger umschlossen
mechanisch das Glas, das mir in die Hand geschoben wurde.
»Wenn es wirklich Annabelle
ist, die sich unter dieser blauen Wolke verbirgt«, sagte ich langsam, »wie
kommt es dann, daß Sie nicht nach einem neuen Harold Ausschau halten?«
»Ich bin zu jung, um ernsthaft
an eine Ehe zu denken«, sagte sie munter. »Und Sie hatten recht. Wissen Sie
das? Einen Blick auf all die herrliche schwarze Spitze, und er rennt schreiend
zu seiner Mutter.« Sie machte eine Art Tanzschritt, und die blaue Wolke bauschte
sich heftig. »Außerdem, wer braucht schon einen Harold, wenn er den Abend mit
einem Westentaschen-Heros verbringen, auf seiner bequemen Couch sitzen und
seine wundervollen alten Ellington-Platten anhören kann?«
»Honiglämmchen«, sagte ich
ehrfurchtsvoll, »ich wußte gar nicht, daß Sie einen so guten Geschmack haben.«
»Das ist ein kleiner Akt der
Gnade«, sagte sie liebenswürdig. »Ich versuche gerade, mich Ihren niedrigen
Neigungen für Mädchen, die des Nachts herbeigeströmt kommen, anzupassen.«
Erneut machte sie ihren verrückten Tanzschritt, und ich schloß schnell die
Augen, bevor die blaue Wolke verschwand.
»Al?« Ihre Stimme klang
besorgt. »Ist Ihnen nicht gut?«
»Es liegt nur an der blauen
Wolke, in der Sie sich verbergen«, erklärte ich. »Sie scheint irgendwie ein
Eigenleben zu haben, und ich habe Angst, sie könnte
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