Der Liebhaber meines Mannes
wollte ich sogar ihr Mitgefühl erregen.
Sobald ich sie sah – sie war allein, das Gesicht von Angst gezeichnet –, stieg Enttäuschung in mir auf.
Wo ist er? Wollte ich schreien. Warum ist er nicht hier anstelle von dir? Wo ist mein Geliebter?
»Hallo, Patrick«, sagte sie.
»Marion.«
Ich setzte mich auf den Metallstuhl ihr gegenüber. Der Besucherraum – klein, ziemlich hell, aber genauso kalt wie der Rest derHaftanstalt – roch nach WC-Reiniger und saurer Milch. Es fanden gerade vier Besuche statt und Burkitt beaufsichtigte alle. Marion starrte mich angestrengt an, ohne zu blinzeln. Mir wurde klar, dass sie versuchte, sich lieber ausschließlich auf den Anblick des Häftlings Patrick Hazlewood zu konzentrieren, als zu beobachten, was sich neben uns abspielte, wo Mann und Frau einander verzweifelt unter dem Tisch mit den Knien umklammerten. Ein Radio, aus dem gerade irgendeine dumme Quizsendung im Unterhaltungsprogramm zu hören war, lief auf mittlerer Lautstärke. »Die Finger auf die Summer, bitte … Hier ist die erste Frage …« Eine seltsame Art, für unsere Ungestörtheit zu sorgen.
Marion zog die Handschuhe aus und legte sie auf den Tisch. Ihre Fingernägel waren grellorange lackiert, was mich erstaunte. Und als ich sie genauer ansah, bemerkte ich, dass sie auch viel mehr Make-up trug als gewöhnlich. Die Augenlider waren mit glänzendem Lidschatten bedeckt. Die Lippen in einem künstlich aussehenden Rosa. Anders als ich hatte sie sich offensichtlich Mühe gegeben. Aber die Gesamtwirkung war nicht viel besser als das, was die Tunten hier in Scrubs zustande bringen. Und sie haben nur Mehlkleister und Plakatfarbe.
Sie schlug die Ärmel ihrer senffarbenen Strickjacke um und strich den Kragen glatt. Ihr Gesicht war blass und gefasst, aber am Hals hatte sie rote Flecken. »Es ist gut, dich zu sehen«, sagte sie.
Schon an der Miene, die sie aufgesetzt hatte – sie machte ein distanziert, respektvoll mitfühlendes Gesicht –, erkannte ich, dass sie keine Nachricht von Tom hatte. Die Frau hatte überhaupt nichts für mich. Vielmehr war sie es, die etwas von mir wollte, wurde mir klar.
»Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll«, sagte sie.
Ich half ihr nicht.
»Ich kann dir nicht sagen, wie ich bedaure, was passiert ist.« Sieschluckte. »Es war ein totaler Justizirrtum. Coleman sollte hier drin sein, nicht du.«
Ich nickte.
»Es ist ein Skandal.«
»Ich weiß«, brach es aus mir hervor. »Ich habe schon einen Brief vom Museum erhalten, der mich von meinen Pflichten entbindet. Und einen von meinem Vermieter, der mich davon in Kenntnis setzt, dass meine Wohnung an eine sehr nette Familie aus Shoreham vermietet ist. Nur meine Mutter schwört, dass sie sich meiner nicht schämt. Ist das nicht komisch?«
»Ich wollte nicht … ich meine, es ist ein Skandal, dass du hier bist …«
»Aber ich bin ein Homosexueller, Marion.«
Sie starrte auf den Tisch.
»Und ich wollte Sex mit Coleman haben. Im Gerichtssaal sah er ziemlich jämmerlich aus, aber ich versichere dir, an dem Abend, als wir uns kennenlernten, war er alles andere als das. Wenn wir es auch nicht getan haben, die Absicht war da. Das reicht vor dem Gesetz, um einen Mann zu verurteilen. Ich habe jemanden
belästigt.«
Sie sah immer noch auf den Tisch, aber ich war jetzt richtig in Fahrt. »Es ist extrem unfair, aber so ist es nun mal. Ich glaube, es gibt Komitees, Petitionen, Lobbyisten und Ähnliches, die versuchen, das Gesetz zu ändern. Aber im Bewusstsein der Briten kommt eine intime Beziehung zwischen zwei Männern schwerer Körperverletzung, bewaffnetem Überfall und schwerem Betrug gleich.«
Marion ordnete wieder ihre Handschuhe. Sah sich im Zimmer um. Dann sagte sie: »Behandeln sie dich gut?«
»Es ist ein bisschen wie in einer öffentlichen Schule. Und ähnlich wie bei der Armee. Warum bist du gekommen?«
Sie sah erschreckt aus. »Ich – weiß nicht.«
Es entstand eine lange Pause. Schließlich machte sie noch einen Versuch: »Wie ist das Essen?«
»Marion. Um Himmels willen, erzähl mir was von Tom. Wie geht es ihm?«
»Es geht ihm – gut.«
Ich wartete. Stellte mir vor, sie an den Schultern zu packen und die Worte aus ihr herauszuschütteln.
»Er hat die Polizei verlassen.«
»Warum?«
Sie sah mich an, als müsste ich die Antwort wissen, ohne dass sie es ausspricht.
»Ich hoffe, es gab nicht zu viel Ärger«, murmelte ich.
»Er hat nicht darüber gesprochen. Er hat nur gesagt, er würde gehen, bevor er dazu
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