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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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bitte helfen?«
    Unsicher sah Rosemarie auf und nahm das Blatt Papier aus Marie-Annas Hand. Sie hatten Inventarlisten bekommen, die bei den Lieferungen lagen, und sollten anhand dieser Aufstellungen die Sammelstücke aufnehmen, zeichnen, beschreiben und, sofern Herkunftsnachweise vorhanden waren, die wichtigsten Daten daraus
entnehmen. Seit zwei Wochen beschäftigten sie sich mit einer Sendung Silberwaren aus Italien.
    »Leuchter aus dem Kirchenschatz von...« Rosemarie zog die Stirn in Falten und fuhr sich mit den Händen an die Schläfen.
    »Was ist los, Fräulein Rosemarie? Haben Sie Kopfschmerzen?«
    »Nein, nein...«
    »Ich glaube doch.«
    »Es ist schon gut. Bemühen Sie sich nicht.«
    »Doch. Wissen Sie, wir arbeiten jetzt seit beinahe zwei Wochen zusammen, und Sie werden täglich blasser. Sind Sie krank, Fräulein Rosemarie? Sollten Sie sich nicht besser eine Pause gönnen?«
    »Das hätten Sie wohl gerne, Mademoiselle.«
    Marie-Anna stutzte, dann schüttelte sie den Kopf.
    »So geht das nicht, Fräulein Rosemarie. Ich werde jetzt in die Küche gehen und uns eine Kanne Pfefferminztee holen, anschließend reden wir darüber.«
    »Nein. Das dürfen wir nicht!«
    »Wer hat es verboten?«
    »Wir haben unsere Arbeit zu erledigen. Und ich werde die meine tun, Mademoiselle.«
    »Gut, und ich hole inzwischen den Tee.«
    Marie-Anna bat Mathilda, ein Tablett mit Tee in das Arbeitszimmer zu bringen, wozu diese selbstverständlich bereit war. Marie-Anna tat aber noch etwas Weiteres. Sie holte aus ihrem Zimmer das Körbchen, in dem sich die vielen Bonbons, Schokoladenfrüchte, Marzipankugeln und Pralinés angesammelt hatten, die Madame ihr ständig zusteckte. Warum sie das tat, hatte Marie-Anna noch nicht herausgefunden. Sie war im Grunde keine Naschkatze, die beständig Süßigkeiten brauchte. Hingegen wäre sie wahrscheinlich mit einem Schinkenbrot sehr wohl verführbar gewesen, wenn auch die
fleischlose Kost durchaus schmackhaft war, die in der nach wie vor andauernden Fastenzeit serviert wurde.
    Mathilda und Marie-Anna betraten gleichzeitig das Arbeitszimmer, und die Hausdame stellte das Tablett mit der Kanne und den Tassen auf ein freies Plätzchen auf den Tisch.
    »Das ist recht, Sie müssen bei der staubigen Arbeit einen Schluck Tee trinken«, bestätigte sie und begann einzugießen.
    »Für mich nicht.«
    »Doch Fräulein Rosemarie, gerade für Sie. Sie sehen blass aus. Hier, nehmen Sie Honig dazu, das stärkt.«
    Der Tee duftete aromatisch, und wenn auch widerstrebend nahm Rosemarie doch die Tasse an. Die Hausdame zog sich zurück, und Marie-Anna offerierte ihr das Körbchen mit den Süßigkeiten.
    »Sie mögen so etwas. Das bisschen süße Dessert, das wir bekommen, ist Ihnen doch nie genug«, ermunterte sie Rosemarie freundlich.
    »Warum tun Sie das, Mademoiselle?«
    »Weil Sie so verbissen sind. Schokolade besänftigt die Nerven.«
    »Sie wollen doch nur, dass ich gegen die Regeln des Hauses verstoße! Damit Sie die Arbeit alleine machen können.«
    Marie-Anna ließ die Hand mit dem Körbchen sinken und sah die schmale, junge Frau vor sich an.
    »Daher also weht der Wind. Jetzt hören Sie mir mal zu, gnädiges Fräulein. Das Letzte, was ich hier will, ist Ihnen die Arbeit wegnehmen. Erstens ist weidlich genug für uns beide da, und zweitens habe ich gar nicht die Kenntnisse, es alleine zu tun. Abgesehen davon ist meine Hauptbeschäftigung der Unterricht der Kinder.«
    »Die haben Sie mir auch schon abspenstig gemacht!«
    »Was für ein blühender Unsinn.«

    »Sie kommen viel besser mit allem zurecht als ich«, seufzte Rosemarie und drückte sich wieder die Hände an die Stirn.
    »Sie haben Kopfschmerzen, weil Sie zu viel arbeiten, sich zu viel Sorgen machen und zu wenig essen und trinken. Jetzt nehmen Sie Ihren Tee, bevor er kalt wird. Und um Himmels willen, essen Sie endlich eine Praline!«
    »Sie sind garstig, Mademoiselle!«
    »Ja, Fräulein Rosemarie.«
    Sie tranken beide von ihrem Tee, und mit einem zaghaften Lächeln biss Rosemarie in eine Marzipankugel. Marie-Anna leistete ihr Gesellschaft mit einem Stückchen kandierter Orange.
    »Aber wohl nicht ganz so garstig, wie ich dachte.«
    »Nein, wahrscheinlich nicht.«
    Das Schweigen zwischen ihnen war jetzt entspannter, und nach der zweiten Tasse Tee widmeten sie sich wieder ihrer Arbeit.
    In den folgenden Tagen brachte Mathilda unaufgefordert gegen halb vier das Teetablett, und Marie-Anna verfütterte die reichen Gaben der Hausherrin an Rosemarie. Doch

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