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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: weissbooks
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Mechanischen Technikums für jeden Lehrer sichtbar angenäht sein. Agraffen und Stecknadeln wurden nicht akzeptiert: Sie zerstachen das Herz des polnischen Adlers und der Warschauer Sirene mit ihrem Schwert und Schild; sie zerstachen auch das Stadtwappen von Dolina Ró ż , die drei Treppenstufen mit den zwei gekreuzten Beilen, den sogenannten Barten; sie beleidigten das Lehrerkollegium und die sozialistische Ordnung, die der katholischen und mittelalterlichen sehr ähnelte. Jeden Montag fanden in der ersten Unterrichtsstunde lange Schulappelle statt − zu Ehren der im Krieg gefallenen Soldaten, zu Ehren der Arbeiter, die im Schweiße ihres Angesichts das sozialistische Haus aufbauten, zu Ehren des Schuldirektors und zum Schluss zu Ehren der Schüler, der zukünftigen Techniker und Ingenieure. Und da es sich bei dem Technikum um einen reinen Männerhort handelte, standen beim Montagsappell im großen Festsaal der ehemaligen Wehrmachtskaserne, die nun seit vielen Jahren als Schule diente, die festlich uniformierten Schulklassen, von der ersten bis zur fünften. Bartek fühlte sich bei diesen Schulappellen wie ein Wehrmachtssoldat und manchmal wie ein Rotarmist oder wie der französische Leutnant von Meryl Streep. Und wenn er im Chemieunterricht wieder einmal versagte − obwohl der Chemielehrer ein Fan der Scorpions war und den Schülern gern seine liberale Ader zeigte, indem er predigte, dass jeder Schüler einmal im Monat nicht vorbereitet sein dürfe −, flüsterte Bartek seinen Nachbarn, die mit ihm zusammen auf einer Bank saßen, zu: »Euch würde ich nicht mit in den Krieg nehmen, ihr seid Versager und Verräter − warum habt ihr eure Hefte mit den Formeln und Definitionen zugeklappt, während ich von unserem Chemielehrer ausgequetscht wurde?«
    Für diese Appelle holte man die Schulfahne und die Nationalflagge aus dem sogenannten Gedenkzimmer hervor und sang die Nationalhymne, um sich anschließend lange Monologe und statistische Berichte des Schuldirektors anzuhören.
    Dieses montägliche Ritual im Technikum hatte Bartek eingeimpft, dass nicht nur die Kirche, sondern auch der Staat ein Monopolist in Fragen von Ethik und Moral war. Anton, Barteks Schulfreund und Klassenkamerad, behauptete sogar, dass der neue sozialistische Staat viel stärker sei als die Kirche, weil er sich nicht einmal davor scheute, das jedem Büßer nach dem Tod versprochene ewige Leben als größten Betrug der Religionen zu entlarven. Anton erklärte noch, der sozialistische Staat scheitere zwar an der Geldgier der Menschen, sei aber dem Kapitalismus dennoch überlegen, weil er begriffen habe, dass der Mensch auf das Jenseits und das Paradies nicht warten wolle und könne, da er zu ungeduldig sei. Das Jenseits und das Paradies müsse man bereits auf Erden schaffen. Für diese Gedanken schätzte Bartek seinen Freund sehr, und er sagte zu ihm im Chemieunterricht, wenn er wieder einmal nicht vorbereitet war: »Anton, dich würde ich jederzeit mit in den Krieg nehmen, du hast mein Ehrenwort, das Ehrenwort eines echten Soldaten und Helden!«
    Der Schnee war früher gefallen als gewöhnlich, denn kaum, dass die Kerzen, die man zu Allerheiligen und -seelen auf den Gräbern der Verstorbenen aufgestellt und angezündet hatte, geschmolzen und erloschen waren, schneite es fast jeden Tag. Das Städtchen fiel in einen tiefen Schneeschlaf, und die anhaltende Kälte machte die Menschen einerseits träge, andererseits hungrig und sexgierig; zumindest träumten die meisten von einem warmen Bett, einem üppigen Mittagessen und von langen Stunden zu zweit unter der weißen Federbettdecke der Nacht. Solche Träume waren nicht leicht zu verwirklichen, da der Staat von Zeit zu Zeit den Strom abschaltete, um Steinkohlebestände zu sparen, und es passierte nicht selten, dass auch das Wasser abgestellt wurde. Dann saß man in den Plattenbauquartieren im Dunklen und hoffte, dass keines der gefrorenen Rohre der erkalteten Heizkörper platzen würde. Die Kinder erledigten ihre Hausaufgaben bei Kerzenlicht, frierend und an den Fingernägeln kauend, während ihre Eltern für sie Geschwister zeugten, in einer finsteren Ecke einer Fabrik oder Schule.
    Es war wieder einmal einer jener langweiligen und zugleich heiligen Schulappellmontage, als Bartek nach dem siebenstündigen Schulunterricht vor der Mauer, die die ehemaligen Kasernengebäude umgab, herumlungerte und mit Anton Zigaretten rauchte, sozusagen auf neutralem Terrain, da sie sich außerhalb des Schulgeländes

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