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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: weissbooks
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Wut zu werden. Daher beschloss er für sich schon früh, nie Kinder zu zeugen. Manchmal fragte er seine Geliebte, der er fast jeden Tag einen neuen Namen gab: »Und, willst du mit mir Kinder haben?« − »Nein, mein Liebster! Du weißt doch, was sie ihren Kindern antun! Sie bilden sie zu Butlern aus und schicken sie jeden Sonntag in die Kirche zur Heiligen Messe, um ein reines Gewissen zu haben, oder sie lassen sie bei ihren alkoholischen Sexorgien in Ungewissheit taumeln, ob es da im benachbarten Wohnzimmer, aus dem seltsame Geräusche und Stimmen kommen, wirklich mit rechten Dingen zugeht …« − »Ach meine Liebe! Du musst jetzt schlafen gehen, ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen.« Und dann verschwand seine Meryl Streep, die so gut wie jeden Tag anders hieß und die noch nie jemand gesehen hatte, weshalb man Bartek für einen Angeber, Lügner und Träumer hielt, der steif und fest behauptete, Meryl Streep sei in ihn verliebt. Doch seine Eltern und auch der Schuster Lupicki und selbst Opa Monte Cassino sagten ihm: »Bartek! Du hast keine Freundin! Du sprichst mit Gespenstern! Und mit dir selbst!« Die Mutter Stasia machte sich Sorgen, und sie überlegte ernsthaft, ob sie ihren Sohn nun nicht doch einem Facharzt vorstellen sollte, einem Psychiater oder einem Psychologen aus Gda ń sk oder Olsztyn; oder auch dem Mörder Baruch, der, nachdem er seine Strafe abgesessen hatte, ein Heiliger geworden war – nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis war er zum besten Kurpfuscher des Landkreises Dolina Ró ż avanciert: Mit flauschigen Pfoten von Kaninchen, die er züchtete und mit großem Appetit verspeiste, versuchte er, die Menschen zu heilen und die bösen Geister zu vertreiben, indem er die Stirn seines Patienten mit einer Kaninchenpfote massierte.
    Der einzige, der Bartek glaubte und auch seine Meryl mehrmals gesehen hatte, war Norbert, der dreißigjährige Sohn von Herrn Lupicki.
    Norbert hatte einen Buckel − und an der rechten Hand sechs Finger. Für diese Laune der Natur und auch dafür, dass er nicht imstande war, seinen erbsengroßen Wortschatz zu erweitern, stellte man ihm gelbe Papiere aus: »Gelbe Dokumente für die Ewigkeit des Universums…«, sagten kichernd die älteren Jungen, die nach der Heiligen Messe vor der St.-Johann-Kirche Zigaretten rauchten. Der geistig behinderte Sohn von Herrn Lupicki spielte in Dolina Ró ż den Narren, und er spielte diese Rolle gern, zumal er von den Bewohnern des Städtchens für seine Nummern immer wieder mit Beifall oder gar Geschenken (Pfannkuchen mit Heidelbeeren, einer Flasche Bier oder einer Zigarette) belohnt wurde.
    Man kann nicht gerade sagen, dass Norbert, der anhänglich war wie ein herrenloser Hund, Barteks bester Freund war. Und da Bartek − wenn er nicht gerade in der Schusterwerkstatt die Zeit totschlug − die Abende am liebsten mit Marcin und seiner Musik, seinen Büchern und Geschichten über exotische Auslandsreisen teilte, musste er Norbert oft den Laufpass geben. Er konnte ihn zu Marcin nicht mitnehmen, den verlorenen Narren, da Marcin, der bald achtzehn werden sollte, als Aristokrat des Denkens und Handelns – diese Bezeichnung war seine eigene Erfindung − keine Launen der Natur tolerierte. Er zitierte pausenlos große Namen, so auch den Philosophen Nietzsche, den er übrigens ins Polnische übersetzte − in Nietzsches eigentliche Muttersprache, so Barteks Kumpel und Lehrmeister −, und manchmal sagte er in belehrendem Ton: »Bartek! Du weißt gar nicht, wozu der Mensch fähig ist! Der Bucklige beleidigt nicht das Antlitz Gottes, sondern vielmehr das unserer menschlichen Spezies. Ich würde ihn in einem Käfig halten wie ein wildes Tier!«
    Im Grunde genommen war Marcin in Dolina Ró ż nur ein Gast, ein Astronaut, der seit Jahren seine baldige Rückkehr ins Paradies, in das Gelobte Land plante. Er sagte, er wandere nach dem Abitur sofort in die USA aus und er bereitete sich auf diese große Ausreise jeden Tag vor, nicht nur, indem er intensiv Englisch lernte, nein, er versuchte auch, ein vorbildlicher Antikommunist zu sein. In der Tat war er in seiner politisch konsequenten Haltung eines Unangepassten und Aufwieglers nicht zu übertreffen, doch Bartek hatte dafür eine Erklärung: Nur der Sohn eines hohen Parteibonzen durfte ungestraft in seinem eigenen Rhythmus trommeln und protestieren und die Kommunisten für alle Misserfolge und die bitteren Niederlagen der Meinungsfreiheit in den Tageszeitungen aus Olsztyn oder Warschau

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