Der Löwe
Oder hatte Khalil sie, wie üblich, ebenfalls umgebracht?
All das brachte mich wieder auf den Gedanken, der mir die ganze Woche durch den Kopf gegangen war. Hatte Khalil noch etwas anderes geplant? Nach allem, was ich in dem Apartment an der 72 nd Street gesehen hatte, hatte Khalil offensichtlich Komplizen und Unterstützung, folglich musste er ihnen vermutlich seinerseits einen Gefallen tun. Aber wie? Und was war es? Und war es noch am Laufen?
Kate unterbrach mich in meinen Gedanken und fragte, worüber ich nachdachte.
»Khalils großes Finale.«
Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Wenn … falls ein Finale geplant war … was immer es auch gewesen sein mag … dann wird es jetzt, da er tot ist, vielleicht nicht dazu kommen. «
Ich dachte darüber nach und hielt es für möglich. Aber irgendetwas Großes würde passieren – zum Beispiel eine Autobombe oder ein Anthraxanschlag mit einem Sprühflugzeug –, und wenn jemand wie al-Qaida dahintersteckte, brauchte man dann Asad Khalil, um es durchzuziehen?
»Ich glaube, wir haben uns diese Möglichkeit nur eingeredet«, sagte Kate.
»Glaubst du das wirklich? Boris hielt es für möglich«, sagte ich zu ihr.
»Wieso ruhst du dich nicht ein bisschen aus?«
Eine Schwester kam mit Schmerzmitteln. Ich mochte diese Dinger schon beim letzten Mal nicht, als ich im Krankenhaus war und das Tageslicht durch drei Löcher in meinem Körper fiel, deshalb hatte mir Dom Fanelli ein farb- und geruchloses Schmerzmittel aus Polen mitgebracht, das den gleichen Zweck erfüllte. Aber ich widersprach nicht, steckte sie in den Mund, trank etwas Wasser und spie sie dann wieder aus, als sie weg war.
»Du musst sie nehmen«, sagte Kate.
»Kein Schmerz, kein Hirn.«
Mir wurde allmählich klar, dass ich das Arschloch vielleicht persönlich hätte fragen sollen, was es vorhatte. Er hätte es mir nicht verraten, wenn ich ihn windelweich geprügelt hätte – aber möglicherweise hätte er es mir verraten, wenn er der Ansicht gewesen wäre, ich sei tot. Er hätte vielleicht gesagt: »Ich bin froh, dass Sie mich danach fragen, Mr Corey. Und ich werde es Ihnen verraten, weil« – lautes Lachen – »Tote nichts erzählen können.«
Okay. Was?
Ich hob den Kopf ein bisschen mehr und spürte, wie die Nähte an meinem Rücken zogen. Ich schloss die Augen und brachte mein Hirn auf Touren. Irgendetwas war mir an der WTC-Baustelle seltsam vorgekommen – fehl am Platz –, und jetzt kam es mir allmählich.
Die Reifenspuren. Sie waren frisch.
Der Sattelzug war irgendwann am Sonntag auf die Baustelle gefahren. Macht man an einem Sonntag Lieferungen in eine Sicherheitszone? Ich entsann mich, dass ich eines Nachts zu später Stunde – möglicherweise während der Woche, vielleicht auch am Wochenende – Lastwagen dort hatte stehen sehen, deren
Fahrer sich im Schlafabteil aufs Ohr gelegt hatten und darauf warteten, dass das Tor geöffnet wurde.
Deshalb … warum sollten die PA-Cops diesen Sattelzug an einem Sonntagabend durch das Tor lassen? Nun ja, weil sie möglicherweise tot waren.
CARLINO MASONRY SUPPLIES.
Mit den Baumaterialien stimmte auch irgendwas nicht ganz. Dort wurde noch kein Beton gegossen, auf der Baustelle standen noch nicht einmal Zementmischmaschinen. Und Betonstahlmatten oder Armierungseisen wurden auf Tiefladern geliefert. Was war also in dem großen Anhänger?
Und warum hatte Khalil die WTC-Baustelle für die Begegnung mit mir ausgewählt? Nun ja, wegen der Symbolik, wie er gesagt hatte. Das kapiere ich … aber …
Ich setzte mich auf. »Verdammte Scheiße.«
»John? Ist alles in Ordnung?«
»Nein.«
»Was ist los?«
»Moment.« Ich war mir ziemlich sicher, dass ich wusste, was in dem Anhänger war – und ich wusste auch, dass er noch nicht hochgegangen war, denn sonst hätte ich es gehört und auch in drei Meilen Entfernung noch gespürt.
Ich griff zum Telefon auf dem Nachttisch, worauf Kate mich fragte: »Wen willst du anrufen?«
»Die Einsatzzentrale – nein, Walsh. Er ist vermutlich noch an der Baustelle.«
»John – «
Walshs Handy schaltete auf Voicemail um – entweder sagte ihm die Nummer nichts, oder das Display zeigte »Bellevue« an, und dort kannte er nur zwei Personen und wollte vermutlich mit keiner von beiden sprechen.
Ich wollte bereits die Einsatzzentrale anrufen, dann aber ritt mich der Teufel, und ich zog die Schläuche und Drähte heraus.
Kate drehte ein bisschen durch und fing an zu schreien, versuchte dann auf
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