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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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durchs Haus schlich. Sie beobachteten ihn, davon war er überzeugt. Das Rugby- und Hockey-Geschrei im Hintergrund war nicht echt, sondern Teil eines Geräuschbands, das man zu seiner Täuschung abspielte. Er schritt in eine Falle. Es war immer eine Falle gewesen. Niemand hatte je an ihn geglaubt. Sie strichen ihn von der Mannschaftsliste und ließen ihn glauben, das Haus für sich zu haben. Aber sie wußten es, sie hatten es immer gewußt. Tom, Bullock, Heydon-Bayley, selbst Cartwright. Gerade Cartwright. Sie sahen zu und warteten. Alle wußten es und warteten ab, bis der Augenblick kam, den sie für seine Entblößung und Entehrung gewählt hatten.
    Sollen sie doch zusehen, sollen sie es doch wissen. Hier stand Cartwrights Bett, und unter dem Kissen, da, ja, da lag der Schlafanzug. Weiche Baumwolle, wie Cartwrights weich gebürstetes Haar, und ein Duft, ein Duft, der biszum letzten Molekül Cartwright hauchte. Auf dem Kragen schimmerte sogar ein einzelnes goldenes Haar und da, gleich da unten, ein neuer Wohlgeruch, ein Aroma, eine Essenz, die aufstieg vom Mittelpunkt der ganzen Cartwrightheit Cartwrights.
    Andere Menschen existierten für Adrian nur als Statisten, als kleine Chargen im Film seines Lebens. Niemandem außer ihm waren Glanz und Elend des Seins aufgefallen, niemand sonst war wahrhaft oder wirklich lebendig. Ihm allein stockte der Atem angesichts taubetropfter Spinnweben oder Frühlingsblüten, die ins Leben piepsten. Nachmittagslicht, das im von Kuhlefzen tropfenden Speichelfaden wie ein Jojo auf und ab hüpfte, wie Tapete in einer Absteige sich schälende Birkenrinde, der Matsch nassen Laubs, das auf Bürgersteigen festgetreten wurde, all das wuchs und platzte nur in ihm. Nur er wußte, was lieben hieß.
    Haaaaaaah … wenn sie ihm wirklich zusahen, war jetzt der Zeitpunkt, den Vorhang beiseite zu ziehen und zu johlen, war jetzt der Zeitpunkt, sie mit Verachtung zu überschütten.
    Aber nichts. Kein Gellen, kein Höhnen, gar kein Geräusch, das die geschwollene Ruhe des Nachmittags zum Platzen gebracht hätte.
    Adrian zitterte, als er aufstand und den Reißverschluß zuzog. Es war Einbildung. Natürlich war es Einbildung. Niemand sah zu, niemand urteilte, niemand zeigte oder flüsterte. Wo waren sie bloß? Rugby-Rotzlöffel mit fliehenden Stirnen und puterroten Hälsen, die über weniger Anmut und Fantasie verfügten als ein Sackschutz.
    Seufzend war er zu seiner eigenen Schlafnische hinübergegangen und hatte sich Astrachanmantel und Zylinder zurechtgelegt.
    Wenn du nicht mit ihnen gemein wirst, dachte er, mußt du gemein sein.
     
    Er hatte sich in Hugo Alexander Timothy Cartwright in dem Augenblick, da er ihn sah, verliebt, als der Junge, in einer Reihe von fünf Neuankömmlingen, am ersten Abend von Adrians zweitem Jahr in den Aufenthaltsraum gestolpert war.
    Heydon-Bayley stieß ihn in die Rippen.
    »Was meinst du, Healey? Üppig, was?«
    Adrian hatte ausnahmsweise geschwiegen. Irgendwas stimmte einfach nicht. Es hatte geschlagene zwei Semester gedauert, bis er die Symptome identifiziert hatte. Er schlug sie in allen wichtigen Lehrbüchern nach. Es bestand gar kein Zweifel. Die Autoritäten stimmten überein: Shakespeare, Tennyson, Ovid, Keats, Georgette Heyer, Milton, sie alle waren einer Meinung. Es war Liebe. Die ganz große.
    Cartwright mit den Saphiraugen und dem Goldhaar, Cartwright mit den Lippen und Lidern: er war Petrarcas Laura, Miltons Lycidas, Catulls Lesbia, Tennysons Hallam, Shakespeares blonder Knabe und Dunkle Dame, des Monds Endymion. Cartwright war der Lohn der Garbo, die Nationalgalerie, er war Cellophan: er war die zarte Falle, die leere heillose Überraschung des Ganzen und der leuchtende goldene Dunst auf den Auen: er war
honeyhoney, sugar-sugar, chirpy chirpy cheep-cheep
und seine Kinderliebe: Die Stimme der Turteltaube erscholl, die Engel speisten im Ritz, und eine Nachtigall sang auf dem Berkeley Square.
    Zwei Semester zuvor hatte Adrian es geschafft, Cartwright zu einer amüsanten halben Stunde in den Waschräumenihres Hauses zu überreden, aber er hatte nie daran gezweifelt, daß er seine Hosen herunterbekommen würde: das war es nicht. Er wollte einfach mehr von ihm als die paar wollüstigen Zuckungen, die die begrenzten Aktivitäten von Reiben und Lecken, Treiben und Stecken anzubieten hatten.
    Er wußte nicht genau, wonach er sich sehnte, aber eins war klar. Es war weniger statthaft zu lieben, sich nach ewiger Partnerschaft zu verzehren, als hinter den Sportplätzen

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