Der magische Reif
»Ich schwöre, ich werde sie retten, für dich und für mich . . .«
Biep! Biep! Die Dioden auf dem Bildschirm fingen regelrecht an zu tanzen: 68, 72, 76 Schläge pro Minute! Und es stieg noch weiter an: 82, 86! Samuel hatte plötzlich das Gefühl zu fliegen: Er hatte auf ganzer Linie recht behalten! Sein Vater war nicht in ein endgültiges Koma gesunken, sein Geist war immer noch da, irgendwo, hellwach. Nur eine kleine züngelnde Flamme, die aber unbedingt wachsen und seinen Körper wieder beleben wollte! Was machte es da schon aus, dass Sam keinen Schimmer hatte, wie er exakt drei Jahre in die Vergangenheit zurückreisen und seine Mutter dazu bringen sollte, die Ausfahrt zu meiden, die ihren Tod bedeutet hatte. Was machte es, wenn dieses Vorhaben absolut verrückt erschien und ihm, aus diversen Gründen, eine Heidenangst einjagte . .. Wenn Allan davon überzeugt war, dass er Elisa eines Tages wiedersehen konnte, würde er zweifellos neue Hoffnung schöpfen und seinen Lebenswillen wiederfinden. Und dann würde er endlich wieder aufwachen!
88, 90, schien er ihm zuzustimmen.
»Na, hier tut sich ja was!«, rief die Krankenschwester aus, die soeben den Raum betrat.
Samuel drehte sich aufgeregt zu ihr um.
»Ich ... ich habe das Gefühl, es geht ihm besser! Ich habe mit ihm gesprochen und sein Herz hat angefangen, immer schneller zu schlagen. Es war... es war, als ob er mir zuhören würde. Das ist ein gutes Zeichen, nicht wahr? Vielleicht kommt er wieder zu sich?«
Die junge blonde Krankenschwester – Isobel stand auf dem Namensschild an ihrem Kittel – schenkte ihm ein beinahe mütterliches Lächeln. Das Schicksal des Patienten von 313 ging dem Pflegepersonal auf der Station in der Tat sehr zu Herzen. Nicht nur dass für Allan Faulkner äußerst wenig Hoffnung bestand, nachdem er irgendwelche wie auch immer gearteten Misshandlungen nur knapp überlebt hatte; er hatte darüber hinaus schon vor einigen Jahren seine Frau verloren, während sein Sohn auf dieser Station am Blinddarm operiert worden war. Als habe das Schicksal es auf seine Familie abgesehen . . .
»Gut!«, sagte die Schwester, während sie die Angaben auf dem Bildschirm überprüfte. »Wenn das keine schöne Neuigkeit ist! Auch wenn wir sicher viel Geduld haben müssen, weißt du. Dein Vater braucht noch sehr viel Ruhe. Außerdem ist es in seinem Zustand oft so, class der Herzschlag sich beschleunigt oder verlangsamt, ohne dass man genau sagen kann, warum. Siehst du, die Frequenz nimmt schon wieder ab.
Und wirklich: die bläulichen Zahlen wurden wieder kleiner: 87, 85, 83 . . . Samuel wollte schon erwidern, dass sie sich irrte und dass Allan ihm wirklich ein Zeichen gegeben hatte, doch er wusste instinktiv, dass das keinen Sinn hätte. Wie auch immer sie darüber dachte, auf jeden Fall war es ihm gelungen, einen Kontakt zu seinem Vater herzustellen. Und selbst wenn es noch nicht ausreichte, um ihn aus dem Koma zurückzuholen, so hatte er jetzt einen hervorragenden Grund, es zu tun. Man musste ihm nur ein wenig Zeit lassen. »Ich lass dich nicht im Stich, Papa«, bekräftigte Samuel im Stillen. »Ich lass dich nicht im Stich . . .«
Isobel berührte ihn sanft an der Schulter.
»Ich kann mir vorstellen, wie schwer es für dich sein muss, und du wirst sehr viel Mut brauchen, was immer geschieht... Wenn du in den nächsten Tagen das Bedürfnis hast, darüber zu reden, komm einfach zu mir ins Schwesternzimmer. Übrigens warten im Flur zwei Leute, die deinen Vater gerne sehen möchten. Ich habe sie gebeten, draußen zu warten, weil ich ihn für ein CT vorbereiten muss. Danach können sie ihm kurz Hallo sagen, wenn sie möchten.«
Samuel hob den Kopf und sein Blick fiel kurz auf den einzigen persönlichen Gegenstand auf dem Nachttisch: eine kleine runde Armbanduhr mit cremefarbenem Zifferblatt, an der Allan sehr hing. Schweren Herzens verließ Sam den Raum – mittlerweile war der Puls auf 70 runtergegangen -, während er sich noch fragte, wer dieser Besuch sein könnte, zumal der Rest der Familie eigentlich erst am Nachmittag auftauchen wollte. Als er die beiden Personen neben dem Getränkeautomaten erkannte, rief er verblüfft: »Mrs.Todds! Alicia!«
Eine schönere Überraschung hätte man ihm nicht machen können!
Helena Todds ging ihm mit weit ausgebreiteten Armen entgegen.
»Samuel, mein Schatz! Wir sind gekommen, sobald wir die Erlaubnis der Ärzte hatten. Was für ein Unglück!«
Sie drückte ihn an sich und umfing ihn mit dem frischen,
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