Der magische Reiter reiter1
zurecht und presste dem Pferd die Fersen in die Flanken. Nichts geschah. Sie trat noch einmal heftiger, doch das Pferd rührte sich nicht von der Stelle.
»Du stures, schlecht ausgebildetes Vieh«, sagte sie.
Das Pferd schnaubte und setzte sich in Richtung Nordstraße in Bewegung.
»He!« Karigan riss an den Zügeln. »Brr! Wer, glaubst du eigentlich, hat hier das Sagen?«
Das Pferd stampfte mit dem Huf auf und schüttelte das Zaumzeug. Karigan versuchte, das Tier wieder zum Königsweg zu lenken, doch es weigerte sich. Als sie die Zügel locker ließ, machte es einige weitere Schritte auf die Nordstraße zu. Sie stieg empört ab. Wenn es sein musste, würde sie es eben zu Fuß auf den Königsweg führen. Das Pferd warf den Kopf zurück und riss ihr die Zügel aus der Hand. Es begab sich in lässigem Trab auf die Nordstraße.
»He, du dämlicher Gaul!«
Eher erschreckt als verärgert, dass das Pferd mit der wichtigen Botschaft davonlief, hetzte sie hinterher. Es blickte sich nach ihr um, als wolle es sie auslachen, und trabte noch fast eine Meile weiter. Dann wartete es geduldig und zupfte an dem Gras, das auf der Straße wuchs, bis Karigan es fuchsteufelswild eingeholt hatte. Als sie nur noch eine Armeslänge von den Zügeln entfernt war, schlug es mit dem Schweif und trottete weiter, so dass sie heftig schimpfend wieder hinter ihm hereilte.
Beim dritten Mal unternahm Karigan keinen Versuch, die Zügel zu ergreifen. Sie stellte sich schnaufend und keuchend vor das Tier, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Also gut, Pferd. Vielleicht weißt du ja etwas, was ich nicht
weiß. Vielleicht ist der Königsweg gefährlicher, weil er der kürzeste Weg zu König Zacharias ist. Also probieren wir eben die Nordstraße aus.«
Nach diesem Vorschlag gestattete ihr das Pferd, die Zügel zu nehmen und aufzusitzen. Es gehorchte ihren Befehlen, wie es sich für ein gut ausgebildetes Pferd ziemte, und Karigan runzelte über seine Scheinheiligkeit die Stirn.
»So ist’s recht, du mieser Gaul«, sagte sie. »Tu nur so, als wäre nichts geschehen.«
Das Pferd verfiel in eine unangenehme Gangart, bei der ihr sämtliche Knochen im Leib durchgeschüttelt wurden.
»Ich glaube, du tust das mit Absicht.«
Das Pferd ließ sich nicht anmerken, ob es sie gehört hatte, und trabte weiter gemächlich dahin, so dass sie im Sattel auf und nieder hüpfte wie ein Sack Kartoffeln. Karigan spornte das Tier zu einem leichten Galopp an, der ebenso qualvoll war, sie aber schneller voranbrachte. Wenn ihr Schurken auf der Fährte waren, wollte sie ihnen so weit wie möglich voraus sein.
Rote Eichhörnchen huschten vor ihr über die Straße. »Straße« war eine Übertreibung. Sie diente eher als Flussbett, in dem die Gräben zu sehr überwuchert oder mit Geröll gefüllt waren, als dass das Wasser noch hätte abfließen können. Wenn Karigan bei König Zacharias ankam, würde sie ihn darüber informieren, in welch einem traurigen Zustand sich die Nordstraße befand, und verlangen, dass man sie reparierte und die Steuern so einer sinnvollen Verwendung zuführte. Nun ja, vielleicht nicht gerade verlangen . Von einem König verlangte man nichts, aber jedenfalls würde sie ihm nachdrücklich diese Empfehlung aussprechen.
Später am Nachmittag zügelte sie das Pferd und stieg ab.
Sie warf ihr Bündel auf den Boden und durchstöberte die Satteltaschen, um zu untersuchen, was davon sich auf ihrer weiteren Reise als nützlich erweisen könnte. Zu ihrem Entzücken fand sie nicht nur getrocknetes Fleisch, Brot, Äpfel und einen Schlauch mit Wasser, sondern auch einen dicken grünen Mantel mit einem an den Schultern befestigten Umhang. Die Ärmel waren zwar etwas lang, doch sonst passte er recht gut.
»Jetzt wird mir nicht mehr kalt werden. « Sie nahm die Lebensmittel und das Wasser, ließ sich zu einem Festmahl auf den Boden plumpsen und stöhnte auf. »Mir tun sämtliche Knochen weh.« Sie starrte das Pferd an, das unschuldig an einem Büschel Gras knabberte.
Nach einer leichten Mahlzeit wickelte Karigan sich in den Mantel. Sie schlief sofort ein und stellte sich im Traum vor, wie eine durchscheinend weiße Gestalt an das Pferd herantrat und auf es einsprach. Ernst lauschte das Pferd jedem Wort. Sie hörte nichts als ein leises Wispern. Wer bist du?, wollte sie fragen. Weshalb störst du meinen Schlaf? Doch ihre Zunge wollte ihr nicht gehorchen, und sie konnte den Schlaf nicht abschütteln.
Ein Stups gegen die Stiefelspitze weckte sie. Das Pferd
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