Der Makedonier
ab, als wollte sie ihn tadeln.
»Du bist ein Idiot«, sagte er zu sich selbst. »War sie das wirklich?«
Ja, sie war es. Er konnte sich daran erinnern, daß er mit ihr gespielt hatte, als sie noch eine kurze Tunika trug und schmutzige Knie hatte. War das schon so lange her? Damals war sie nichts Besonderes gewesen.
Er fragte sich, wie ihre Knie wohl jetzt aussahen.
»Hat sich die Göttin dir da drin wirklich offenbart?« Es war Aristoteles, Philipp hatte sein Näherkommen gar nicht bemerkt. »Du siehst aus, als hättest du etwas Göttliches erblickt.«
Philipp drehte sich zu ihm um und lächelte, ein Lächeln, in das er sowohl mehr wie weniger legte als das, was er fühlte.
»Das habe ich, aber die Göttin Athene hat nichts damit zu tun.«
Alexandros war in dem Glauben aufgewachsen, daß der König von Makedonien der glücklichste und geehrteste aller Menschen sein müsse, doch sein Vater war erst wenige Tage tot, als er das Ausmaß seines Irrtums erkannte. Als Prinz und Erbe war ihm sehr deutlich bewußt gewesen, was man von ihm nach seiner Thronbesteigung erwarten würde, und er hatte nie daran gezweifelt, da er ein guter König sein und seine Pflicht tun würde, was ja schließlich eine sehr einfache Aufgabe war. Der König sollte seinen Untertanen Gerechtigkeit widerfahren lassen, seinen Freunden ein Gönner sein, seinen Feinden aber den Tod bringen. Der König lebte unter dem Schutz der Götter, die ihn tugendhaft im Frieden und schrecklich im Krieg machten. Der König war der Liebling des Glücks. Das hatte alles so einfach und offensichtlich ausgesehen. Aber jetzt kam er sich vor, als würde nichts je wieder offensichtlich sein.
Er hatte nicht begriffen, wie schwach die Nation war, die er zu regieren hatte, und wie vollkommen sie von Feinden eingeschlossen war. In den nördlichen Provinzen der Lynkestis und Orestis herrschte mehr oder weniger offener Aufruhr. Athen hatte sich dem Chalkidischen Bund angeschlossen, der Makedonien den Zugang zum Thermäischen Golf streitig machte. Und jetzt verlangten die Illyrer Zusicherungen, daß der neue König die Verträge einhielt, die sein Vater geschlossen hatte.
Die Lösung des Problems lag bei der Armee, die Amyntas vernachlässigt hatte. Alexandros war als Soldat erzogen worden, und er wußte, was zu tun war. Die makedonische Tapferkeit würde letztendlich alle Schwierigkeiten überwinden.
Und diese makedonische Tapferkeit konnte wiederhergestellt werden, da war er sich ganz sicher, wenn nur seine Edlen aufhören würden, Ränke zu schmieden, damit er in Frieden die Armee neu aufbauen konnte. Er brauchte nichts anderes als Zeit und ein wenig Bewegungsfreiheit, doch genau die schien man ihm nicht zugestehen zu wollen.
Niemand sonst schien sich um die Armee zu kümmern. Das einzige, worüber man sprach, war seine Nachfolge.
Und das war, wie Alexandros erkannte, in gewisser Weise sein Fehler. Frauen bedeuteten ihm im Grunde genommen nichts, und so hatte er die Wahl einer Braut immer wieder aufgeschoben. Sein Vater hätte darauf bestehen sollen – eigentlich war es also Amyntas’ Fehler –, aber der war in den letzten Jahren zu sehr mit der Vorbereitung auf den eigenen Tod beschäftigt gewesen, um sich über anderes Gedanken zu machen. So hatte Alexandros keinen Sohn, der ihm nachfolgen konnte, und seine beiden Brüder waren noch minderjährig. Dies hätte im Todesfall die Regentschaft eines Stellvertreters bedeutet. Dennoch müßte entweder Perdikkas oder Philipp zum Erben bestimmt werden.
Eigentlich lag die Entscheidung auf der Hand, da Perdikkas der ältere war. Aber Perdikkas war ein Schwächling und nicht sehr beliebt. Philipp würde größere Zustimmung erhalten, vor allem seit er…
Aber Alexandros konnte sich nicht dazu durchringen, Philipp zum Erben zu bestimmen, da er allmählich ein wenig Angst vor ihm bekam.
Als König, das hatte Alexandros gelernt, steckte man beständig in scheinbar unlösbaren Schwierigkeiten. Er mußte entweder einen Krieg gegen Athen führen, von dem er wußte, daß er ihn nicht gewinnen konnte, oder einen Frieden akzeptieren, der seinem Land mit der Zeit die Luft abschnüren würde. Wenn er den Illyrern die Stirn bot, würden die wahrscheinlich anfangen, seine nördlichen Grenzen zu überfallen, wenn er aber die bestehenden Verträge akzeptierte, würde König Bardylis, der alte Gauner, das als Zeichen der Schwäche deuten und ihn um so heftiger bedrängen. Er mußte sich zwischen Perdikkas und Philipp entscheiden,
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