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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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so wenig verdünnen, daß sie sich betrinken konnten.
    Für die Soldaten am Nordtor war das Rennen eine kleine Abwechslung in ihrem eintönigen Wachdienst. Sie lachten und erboten sich, auf den Ausgang zu wetten, und einer von ihnen war bereit, das Startsignal zu geben. Er stellte sich etwa zwanzig Schritt vor die jungen Reiter und hielt sein Schwert in die Höhe. Als er die Spitze senkte, drückte Philipp seine Fersen in dieschwarzen Flanken des Hengstes, und der schoß sofort davon.
    In diesen ersten Sekunden hatte er immer das Gefühl, als würde ihm die Luft aus den Lungen gepreßt werden -es gab nichts, das einen auf die Geschwindigkeit dieses Pferds vorbereitet hätte. Die Landschaft verschwamm vor seinen Augen, und kein Geräusch drang an seine Ohren außer dem Donnern der Hufe. Philipp ließ die Zügel hängen und beugte sich vor, bis sein Gesicht fast den Hals des Hengstes berührte. Und wieder spürte er, wie Roß und Reiter zu einem einzigen Wesen verschmolzen, als könnte er mit dem Körper des Tieres fühlen und mit seinem Willen denken. Eine wilde, chaotische Freude erfüllte ihn.
    Nach dem ersten Losstürmen fiel der Hengst in einen rhythmischen Galopp, der es Philipp gestattete, wieder zu sich selbst zu kommen. Er wußte, daß er seine Gefährten weit hinter sich gelassen hatte – Arrhidaios’ gefleckter Wallach war kein ebenbürtiger Gegner, und Aristoteles, der nicht einmal Makedonier war, wußte kaum, wie ein Pferd aussah –, und er zog deshalb die Zügel ein wenig an.
    »Alastor, eines Tages bringst du uns noch beide um«, murmelte er, und der Hengst senkte sofort den Kopf und wurde etwas langsamer.
    Vor sich konnte Philipp bereits den Eichenhain, das Ziel des Rennens, erkennen.
    Als er ihn erreichte, war der Hengst schweißnaß. Philipp galoppierte ein Stück in den Hain hinein, zu einer Stelle, wo die Sonne durch die Blätter schien und handgroße Lichtsprenkel auf den Boden warf. Dort hielt er an und ließ den Hengst in einem engen Kreis gehen, bis sie in die Richtung blickten, aus der sie gekommen waren. Er hatte sich bemüht, sein Pferd über diese Entfernung nicht zu sehr anzutreiben, und dennoch stellte er jetzt befriedigt fest, daß er Arrhidaios gut zweihundert Schritt u nd Aristoteles noch einmal hundert Schritt hinter sich gelassen hatte. Beide ritten noch in vollem Galopp und kamen schnell näher.
    Plötzlich ging seine gute Laune mit ihm durch, er hob den Arm, stimmte einen Kriegsgesang an und gab Alastor die Fersen.
    Es passierte in dem Augenblick, als er aus dem Dunkel des Hains wieder ins Sonnenlicht schoß, und es passierte mit erschreckender Plötzlichkeit. Philipp sah hoch, und ein furchterregender, wilder Schrei zerriß die Luft. Sein Herz schien zu Eis zu werden, als er sah, daß eine riesige Eule auf ihn herniederstürzte.
    Er sah ihre schrecklichen Augen, voller Tod. Er sah ihre Klauen, die langen, gebogenen Krallen. Sie kam direkt auf ihn zu, wie ein Stein fiel sie aus dem leeren Himmel. Philipp hatte sich noch nie so hilflos gefühlt. Er konnte nicht einmal den Arm heben, um sich zu schützen. Er war starr vor Angst.
    Doch dann, im allerletzten Augenblick, breitete die Eule die Flügel aus, und ihre Spannweite verdunkelte den Himmel. Philipp spürte sie sein Gesicht streifen, spürte einen plötzlichen Schmerz und dann… nichts mehr.
    Er konnte sich nicht daran erinnern, gefallen zu sein. Plötzlich lag er einfach auf der Erde, starrte zum Himmel hoch und sah die Eule auf ihren breiten Schwingen in die Höhe steigen. In weitem Bogen kreiste sie einmal über ihm und verschwand dann.

4
     
     
    MAN MUSS NUR genau hinsehen, um die Bedeutung dieses Vorfalls zu verstehen«, sagte Glaukon, nachdem er die Geschichte gehört hatte. »Es gibt den äußeren Anschein der Dinge, der manchmal die Wahrheit verhüllt, und dann gibt es die Wahrheit selbst. In diesem Fall ist das eine nur ein Abbild des anderen.«
    Philipp und seine Freunde waren sofort nach Pella zurückgeritten. Nach einem so bizarren Ereignis hatte keiner mehr Lust auf Wettkämpfe. Außerdem waren die Wunden, die die Klauen der Eule auf Philipps Gesicht hinterlassen hatten, so tief, daß er einen Arzt brauchte.
    Aber nicht diese Wunden waren der Grund, warum Glaukon so ernst dreinblickte, während Nikomachos eine gelbe Salbe, die schlimmer brannte als Nesseln, auf die beiden parallel verlaufenden Schnitte schmierte.
    »Wie jeder weiß, ist die Eule das heilige Tier der Athene, und jetzt hat die Göttin dich

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