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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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damals war es bloß ein kleines Arbeiterkaff, dessen Hauptstraße schräg unter einer Eisenbahnbrücke verlief. Egal, wie viele Warnlichter und große gelbe Schilder man aufstellte, es gab übern Daumen gepeilt durchschnittlich zwei oder drei Unfälle pro Monat. Bloß weil ein paar betrunkene Deppen den plötzlichen Knick in der Straße nicht nehmen konnten, der einen zentimeternah an den betonierten Bahndamm heranführte. Scheiße, allein die Kunden meines Onkels … sein Spirituosenladen lag nämlich direkt neben der Brücke. »Lito’s Liquors«. Auf der anderen Seite gab es ein Restaurant, das »The Flame« hieß. Wenn Sie je in einem Denny’s waren, dann denken Sie an diese kulinarische Erfahrung, nur mit doppelt so schlechtem Essen. Man sollte meinen, wir hätten nur einmal und nie wieder dort gegessen, wie die meisten Leute, aber das Flame lag eben günstig nahe am Spirituosenladen, und es gab da eine Kellnerin, für die mein Onkel eine Schwäche hatte. Jedenfalls, es klingt wie ein schlechter Witz, aber wenn mir je etwas letztendlich die Zunge gelöst hätte, dann das Essen im Flame.
    Ansonsten gab es am Ende der Main Street einen Park mit rostigen alten Schaukeln und Kletterstangen, die nur ein Lebensmüder ohne Tetanusspritze angefasst hätte. Der Park zog sich bis hinunter zum Huron River, der mit alten Autoreifen, Einkaufswagen und noch zusammengebundenen Zeitungsstapeln vollgemüllt war. Unter der Brücke, wo die Eisenbahn den Fluss überquerte, hingen die Kids von der Highschool abends ab, drehten ihre Autoradios auf, tranken Bier, rauchten Pot, was weiß ich.
    Sie denken vermutlich, ich übertreibe. Wenn Sie Milford heute sähen, würden Sie mich für verrückt erklären, bei all den exklusiven Wohnsiedlungen, die sie inzwischen dort haben, und der Main Street mit ihren Antiquitäten und Biosandwiches und Beautysalons. Im Park gibt es jetzt einen großen offenen Pavillon, in dem im Sommer Konzerte aufgeführt werden, und wenn man unter der Eisenbahnbrücke einen Joint rauchen würde, wären in null Komma nix die Cops da.
    Es war ein ganz anderer Ort damals, will ich nur sagen. Ein einsamer Ort, vor allem für einen gerade erst neun gewordenen elternlosen Jungen. Der auf einmal in einem fremden Haus bei einem Mann wohnte, den er kaum kannte. Onkel Lito hatte ein einstöckiges Gemäuer hinter seinem Laden, ein trauriges kleines Haus mit minzgrüner Aluverkleidung. Er nahm den Pokertisch aus dem hinteren kleinen Zimmer heraus, das damit zu meinem Zimmer wurde. »Hier werden wir wohl nicht mehr pokern, schätze ich«, sagte er, als er mir den Raum zum ersten Mal zeigte. »Aber weißt du was? Ich hab sowieso meistens bloß Geld verloren, also kann ich dir dankbar sein.«
    Er streckte die Hand nach mir aus, eine Geste, die mir sehr vertraut werden sollte. Was folgte, war ein gutmütiger Knuff oder ein Klaps, so wie man seinen besten Kumpel auf die Schulter haut. Sie wissen schon, so ein kleiner Schlagabtausch zwischen Jungs, aber vorsichtiger, als wollte er mich nicht zu hart anfassen. Oder als wollte er die Möglichkeit offenlassen, dass ich auf ihn zukam und er eine unbeholfene seitliche Umarmung daraus machen konnte.
    Ich merkte, dass Onkel Lito sich den Kopf darüber zerbrach, was er mit mir anfangen sollte. »Wir sind halt zwei Junggesellen«, sagte er bei mehr als einer Gelegenheit. »Leben in Saus und Braus, was? Was hältst du davon, wenn wir rüber zum Flame gehen und einen Happen essen.« Als ob der Fraß im Flame als Saus und Braus hätte gelten können. Wir setzten uns dann in unsere Nische, und Onkel Lito gab mir einen detaillierten Bericht über seinen Tagesablauf, wie viele Flaschen von diesem oder jenem er verkauft hatte und was nachbestellt werden musste. Ich saß stumm wie ein Fisch dabei. Natürlich. Ob ich ihm wirklich zuhörte, schien keine große Rolle zu spielen. Er machte einfach mit seiner einseitigen Unterhaltung weiter, und das in so ziemlich jedem wachen Moment.
    »Was meinste, Mike? Sollen wir heute mal ein bisschen Wäsche waschen?«
    »Zeit, zur Arbeit zu gehen, Mike. Die Brötchen wollen verdient werden. Hast du Lust, ein bisschen hier hinten herumzuhängen, während ich vorne aufräume?«
    »Unsere Vorräte gehen langsam zur Neige, Mike. Ich glaube, wir müssen einen Ausflug zum Supermarkt machen. Was meinste, sollen wir ein paar hübsche Mädchen aufgabeln, wenn wir schon unterwegs sind? Sie mit hierhernehmen, eine Party feiern, he?«
    Diese Angewohnheit von ihm, dieses

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