Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
1
Sommer 1963: Profumo in Ungnade gefallen; Ward tot; die Beatles mit ihrem Album Please Please Me auf Platz eins; Martin Luther King hat seinen Traum; der von JFK wird nicht mehr lange währen; der Kalte Krieg erreicht Tiefsttemperaturen; der frische Wind des Wandels weht immer stärker durch das koloniale Afrika, und seine kräftigen Böen sind schon bis zum »Tor der Tränen« im britisch kontrollierten Aden zu spüren.
Aber die Gefahr terroristischer Anschläge ist noch nicht so groß, dass sie einen elfjährigen englischen Jungen daran hindern könnte, seine Sommerferien dort zu genießen, ehe er wieder zur Schule muss.
Ein paar Einschränkungen gibt es jedoch. Sein Diplomatenvater, der um die wachsende Bedrohung durch die Nationale Befreiungsfront weiß, lässt ihn nicht mehr nach Lust und Laune herumstromern, sondern setzt ihm strikte Grenzen und besteht darauf, dass er stets von Ahmed begleitet wird, einem jungen jemenitischen Gärtner und Handwerker, der sehr an dem Kleinen hängt.
Wenn Ahmed bei ihm ist, fühlt er sich rundherum sicher, und als ein verbeulter und staubiger Morris Oxford neben ihnen hält, die hintere Tür einladend geöffnet, wundert er sich, als sein Freund ihn zum Einsteigen drängt, hat aber keine Angst.
Auf der Rückbank sitzen bereits zwei Männer. Der Junge wird zwischen Ahmed und einem stämmigen glatzköpfigen Mann, der nach Schweiß und billigem Tabak riecht, eingeklemmt.
Das Auto braust davon. Bald haben sie eine der Grenzen erreicht, die sein Vater ihnen gesetzt hat. Der Junge sieht Ahmed fragend an, doch schon fahren sie in eine der weniger gepflegten Gegenden der Stadt.
Er ist allerdings nicht zum ersten Mal hier. Ein Jahr zuvor, als die Zeiten noch einigermaßen sicher waren, hat er gehört, wie ein britischer Beamter die Hauptstraße des Viertels als »Straße der tausend Arschlöcher« bezeichnete, und daraufhin hat er Ahmed überredet, ihn mit dorthin zu nehmen. Die fragliche Straße war eine ziemliche Enttäuschung und lieferte dem Jungen keine Erklärung für ihren spaßigen Namen. Als er von Ahmed wissen wollte, warum die Straße so genannt wurde, grinste der nur und antwortete: »Zu jung. Später vielleicht, wenn du älter bist!«
Jetzt biegt der Morris genau in diese Straße ein, wird langsamer und hat kaum angehalten, als der Junge auch schon von dem Glatzkopf nach draußen bugsiert und in einen Hauseingang gestoßen wird.
Trotzdem ist er nicht so erschrocken, dass er nicht die Hausnummer 19 an der Wand neben der Tür registriert hätte.
Er wird eine Treppe hinaufgetragen und in einen Raum gebracht, in dem sich keinerlei Möbel, dafür aber viele Männer befinden. Man wirft ihn in einer Ecke zu Boden. Er versucht, Ahmed anzusprechen. Der junge Mann schüttelt ungehalten den Kopf und weicht von da an seinen Blicken aus.
Nach etwa zehn Minuten kommt ein weiterer Mann herein. Er trägt einen europäischen Anzug und scheint wichtig zu sein. Die anderen verstummen.
Der Neuankömmling bleibt vor dem Jungen stehen und beugt sich herab, um ihm ins Gesicht zu schauen.
»Also, Junge«, sagt er. »Du bist der Sohn des Meisterspions.«
»Nein, Sir«, entgegnet er. »Mein Vater ist der britische Handelsattaché.«
Der Mann lacht.
»Als ich so alt war wie du, wusste ich, wer mein Vater ist«, sagt er. »Komm, wir reden mit ihm und finden heraus, wie viel du ihm wert bist.«
Er wird von dem Glatzkopf auf die Beine gezerrt und in ein anderes Zimmer gebracht, wo ein Telefon steht.
Der Mann in dem Anzug wählt eine Nummer, der Junge hört, wie er den Namen seines Vaters ausspricht. Nach einer kurzen Pause sagt der Mann: »Hören Sie zu. Ich spreche für die Befreiungsfront des Südjemen. Wir haben Ihren Sohn. Er wird kurz mit Ihnen reden, damit Sie wissen, dass wir nicht bluffen.«
Er winkt, und der Junge wird nach vorne geschoben.
Der Mann sagte: »Sprich mit deinem Vater, damit er weiß, dass du es bist«, und hält dem Jungen den Hörer hin.
Der Junge singt: » Mille ani undeviginti .«
Der Mann reißt ihm den Hörer aus der Hand und packt den Jungen am Hals.
»Was hast du gesagt?«, schreit er.
»Sie haben doch gesagt, er muss wissen, dass ich es bin«, stottert der Junge. »Das ist ein Lied, das wir oft zusammen singen, über die Ziege von Paddy McGinty. Fragen Sie ihn, er wird’s Ihnen erklären.«
Der Mann spricht ins Telefon. »Was hat es mit diesem Ginty und der Ziege auf sich?«
Was auch immer er hört, es scheint ihn zu beruhigen, und auf ein
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