Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
sondern ein älterer dicker Mann, der jetzt hinter die Bar trat und eine wasserhelle Flüssigkeit in zwei Gläser einschenkte. Sein Deutsch war präzise, überlegt und unterkühlt. Sein Deutsch war wie: Worte ohne Lieder.
Er wartete meine Frage nicht ab, sondern erklärte, dass Rayleigh ihn angerufen und von einem Österreicher erzählt habe, der auf der Suche nach Szirba sei. Der Wirt des Café Museum hatte die Vermutung aufgestellt, diesem Österreicher sei durchaus eine Blödheit zuzutrauen.
»Mr. Rayleigh hat einen guten Riecher für alles Abnorme«, sagte der dicke Mann.
Ich weiß nicht, warum es mir jetzt erst aufging, das viel zitierte Licht. Auch wenn ich von Szirba bloß die halbe Geschichte erfahren hatte, also nicht wissen konnte, warum es ihn nach Johannesburg verschlagen hatte, so hätte ich doch daran denken müssen: Der Killer, der Mann, der afrikanische Bibeln verkaufte, stammte aus Südafrika. Das konnte kaum ein Zufall sein. Der Mann, der mir nun ein Glas hinhielt, musste jener Bibelverkäufer sein, Ludwig Jooß.
Darum fehlte jegliche Sicherheitsvorkehrung. Die Leute hier wussten nämlich, wem dieses Haus gehörte. Ein solcher Mann hatte es nicht nötig, seinen Besitz zu verminen, da es ohnehin keiner gewagt hätte, sein Blumenbeet zu zertreten. Was ich jedoch in diesem Moment noch nicht wusste: Dieser Mann war kein Killer. Womit gemeint ist, dass er nicht so reagierte, wie ich mir vorstellte, dass Killer zu reagieren pflegen. Nein, der Mann war anders. Friedlicher konnte jemand gar nicht sein. Das Töten war bloß sein Beruf. Aber man weiß ja, wie sehr ein gewisses Berufsbild unser Bild von der charakterlichen Disposition eines Menschen bestimmt. Und wie sehr das quasi Unehrenhafte alles Beruflichen auf das Privatleben übertragen wird. Was jedoch nicht immer stimmt. Menschen mit den unterschiedlichsten Professionen können in der guten Luft ihrer eigenen vier Wände oder Zäune zu den liebenswertesten Personen erblühen. Was uns bei Politikern oder Generälen oder Postboten nicht weiter überrascht. Und es sollte uns eben auch bei Killern nicht überraschen.
Das war nun eine Einsicht, die mir nicht gleich in den Sinn kam. Entgegen der Freundlichkeit, die das angebotene Glas klaren Branntweins bedeutete, befürchtete ich, dass mich dieser keineswegs gefährlich anmutende Mensch mit einer einzigen, verschwindenden Bewegung vom Leben zum Tod befördern würde.
Mit einer schwerfälligen Geste bat er mich, irgendwo auf der Sitzgarnitur Platz zu nehmen. Erleichtert setzte ich mich auf das butterfarbene Leder. Auch weil ich annahm, dass sich auf einem so empfindlichen Möbel ein Mord von selbst verbat.
Als wir saßen, sagte mein Gastgeber: »Bitte schön.«
Ich signalisierte ihm mit einem Blick, dass ich nicht wüsste, worum ausgerechnet er mich zu bitten hätte. Nun, er bat mich zu erklären, was ich eigentlich wollte.
»Ich möchte Herrn Szirba sprechen.«
»Ich weiß. Aber der schläft. Eigentlich schon seit Tagen. Hin und wieder ist sein Schlafbedürfnis erstaunlich. Ich möchte sagen: eine alte Angewohnheit. Sie müssen also mit mir vorliebnehmen.«
Nicht, dass ich mir in diesem Moment ein solches Angebot wünschte. Aber ausschlagen konnte ich es ebenso wenig. Natürlich hätte ich jetzt irgendeine Belanglosigkeit erfinden können, aber sosehr die Übertreibung zu meinen Stärken gehört, so wenig die Verstellung. Also setzte ich auf die Wahrheit, wie ein Kind, das die Wahrheit für eine derartige Leistung hält, dass die Folge nur Straffreiheit bedeuten kann. Ich berichtete, was ich von Szirba wusste und wie sehr ich gehofft hatte, auch den zweiten Teil der Geschichte zu erfahren, um dann das Ganze zu Papier zu bringen. Mit den Freiheiten der Gestaltung und der Verschlüsselung, versteht sich.
»Schriftstellerei ist eine dumme Sache«, stellte Jooß fest (natürlich war es Jooß, der mir da gegenübersaß).
»Es ist mein Beruf«, sagte ich.
»Beruf? Jetzt flunkern Sie aber.«
»Hören Sie…«
»Schon gut«, wehrte Jooß ab, »ich glaube Ihnen ja. Trotzdem bin ich der Meinung, man sollte an die alten Geschichten nicht rühren. Seien wir ehrlich, die meiste Literatur stellt doch einen Missbrauch von Geschichte und Geschichten dar, einen kannibalischen Akt. Man könnte auch sagen: Es ist wie Schlafen mit einer mehr oder weniger verwesten Leiche. Die Phantasie des Autors besteht darin, sich die Leiche lebendig vorzustellen. Bücher sind etwas Obszönes. Und das Verabscheuungswürdige
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