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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Formulierungen gebrauchte, die befremdlich anmuteten, da sie aus der Vortragskultur der Wetterberichte stammten. Mit dem Unterschied, dass die Dame aus dem Funkgerät völlig leidenschaftslos sprach.
    Offensichtlich handelte es sich um einen Code. Die Frau sagte: Die polare Meeresluft hat uns verlassen oder Im weiteren Verlauf werden die Schneefälle abnehmen oder einfach Auflockerung .
    »Hört sich gut an«, kommentierte ich die Auflockerung.
    Der Fahrer blieb stumm und brachte uns ohne Unterbrechung zum Flughafen. Er stieg mit uns aus dem Wagen, um zwei Reisetaschen aus dem Kofferraum zu heben, die er mir in beide Hände drückte. Szirba trug ja bereits seine versoffenen Jungfern.
    Ich hatte diese Taschen aus dunkelgrünem Leder nie zuvor gesehen. Und fragte mich, was die Initialen HHS zu bedeuten hätten. Hauptstätter Hospital Stuttgart? Immerhin meinte ich den Sinn des Gepäcks zu erkennen. Es sollte uns an diesem Ort eine gewisse Glaubwürdigkeit verleihen.
    Grußlos setzte sich der Fahrer wieder hinter sein Lenkrad. Bei halb offener Tür vernahm ich, wie er in sein Funkgerät sprach: Die beiden Schauerstaffeln sind eingetroffen. Dann fuhr er davon.
    Gut möglich, dass man Szirba und mich als »Schauerstaffeln« titulierte. Doch der Begriff war mir fremd, ich verstand ihn nicht. Außerdem klang er lange nicht so nett wie Rosenkohlrösle.
    Wir traten in die Halle, vorbei an Sicherheitsbeamten, die mit geübtem und trockenem Blick an uns vorbeisahen. Der Großteil der Passagiere, die herumstanden oder eine Art pferdeloses Dressurreiten vollzogen, waren Geschäftsreisende. Man hätte sie auch ohne ihre Anzüge erkannt. Eine Aufgeregtheit lag in der Luft wie der Geruch von Gas. Diese Leute wirkten, als gehörten sie zur Besatzung eines Spaceshuttle. Auch wenn heutzutage die halbe Welt flog, schienen Geschäftsreisende das Fliegen noch immer für ein Adelsprädikat zu halten. – Das ist übrigens ein merkwürdiges Phänomen, welches ich des Öfteren zu beobachten meine. Dass der sogenannte Prolet, vereinnahmt er wieder mal irgendein Privileg der oberen Kasten, dies mit einer geradezu dreisten Selbstverständlichkeit tut (ob er nun fliegt oder golft oder Austern schlürft), während jene Personen, die das Golfen und Schlürfen eigentlich gewohnt sein müssten, selbiges auf eine Art betreiben, als könnten sie das Wunder einer Muschel, deren Fleisch man für viel Geld verspeisen darf, noch immer nicht fassen.
    Ich stellte die beiden Taschen ab – nun doch etwas unsicher über deren tatsächliche Bedeutung – und öffnete sie. Was hatte ich erwartet? Leichenteile? Eine Bombe? Augenscheinlich war nichts Auffallendes zu entdecken. Kleidung, Rasierzeug, ein Stuttgartführer, ein kleiner, goldener Bahnhofsturm. Betätigte man den Knopf auf der Unterseite, leuchtete der Mercedesstern auf. In der anderen, ebenfalls mit Kleidung gefüllten Tasche, lag obenauf eine gerahmte Fotografie, darauf Gerda. Gerda im Schnee. Rotwangig. Gepolstert. Nicht barfüßig, sondern in Gummistiefeln. Das Haar unsichtbar unter einer Pelzkappe. Ich konnte mir vorstellen, was Szirba und Neuper zu diesem Bild gesagt hätten: typisch russisch.
    Ich schloss die beiden Taschen und gab sie am Schalter der Fluggesellschaft ab.
    Als ich zu Szirba zurückkehrte, wurde mir seine exzentrische Erscheinung bewusst. Wie er da stand, als hielte ihn bloß ein leichter Luftzug in der Vertikalen, jetzt wieder mit diesem Blick eines chronisch Betäubten, einen grünen Schal um den Hals gewickelt, einen anderen grünen Schal um die Hand. Dazu ein Tupperware-Geschirr in der Armbeuge. Das war es freilich nicht, was mich zusammenzucken ließ. Sondern die zwei Pistolengriffe, welche einen Fingerbreit aus seiner Manteltasche herauslugten.
    »Heilige Schauerstaffeln«, murmelte ich und schob Szirba auf die Toilette. Händewaschend wartete ich, bis wir allein waren. Dann zog ich rasch die beiden Waffen aus seiner Manteltasche, schloss mich in eine Kabine ein und umwickelte sie mit Klopapier. Anschließend ging ich zurück zu den Waschbecken und warf die Dinger in einen Abfalleimer.
    Ein Moment der Entspannung trat ein, in dem ich mein Gesicht im Spiegel betrachtete. Es war nicht so, dass ich in diesen Tagen gealtert wäre. Doch etwas hatte sich verändert, so wie man eines Tages feststellt, dass man zu schrumpfen begonnen hat. Das war es wohl: Ich schrumpfte. Und als Erstes mein Gesicht.
    »Wir können jetzt gehen«, sagte ich zu Szirba.
    »Wir können«, bestätigte

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