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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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man ihr keinen Gast angekündigt habe und ich folglich keiner sein könne.
    Wäre die Frau schwarzhäutig gewesen, hätte sie in einer dieser Komödien spielen können, in denen negroide Haushälterinnen die Tugend der Unbestechlichkeit hochhielten. Sowie eine beinharte Skepsis gegen alles Hausfremde. Und ich war ein Hausfremder. Und Szirba nicht der Hausherr, wie ein verächtlicher Blick der Schürzenträgerin zweifelsfrei verriet. Vermutlich war sie Italienerin. Gemäß dem torpedierenden Wortschwall, mit dem sie mich aus der Villa scheuchte.
    Ich hätte die Angelegenheit mit Humor nehmen und vergessen können. Ich hätte auch Szirbas Geschichte selbst zu Ende denken können. Tat ich aber nicht. Vielleicht auch nur, um mein Prinzip der Aufdringlichkeit fortzuführen, das ich mit einem Hang zum Naturalismus verwechselte. Am folgenden Tag stand ich wieder vor dem Haus und läutete. Die Rüschenschürze war eine andere, die Dame aber dieselbe. Sie trat ans Tor, um mir zu sagen, dass ich mich verziehen solle. Ich hätte gern diskutiert. Aber sie wollte nicht. Sie zeigte mir ihren Hintern, ein beinahe kreisrundes, dominantes, jedoch recht flaches Gebilde, das mich an den wienerischen Begriff der Schastrommel erinnerte, mit dem man dicke, alte Weiber bezeichnet. Dieser Hintern vermittelte mir den Eindruck von etwas ungemein Offensivem, das sich gleichzeitig von mir wegbewegte. Durch die wellenartig geschwungenen Gitterstäbe sah ich der Frau nach, wie sie wieder im Haus verschwand.
    Am Abend ging ich ins Café Museum, fragte nach Szirba. Rayleigh schüttelte den Kopf und zapfte mir ein Bier, das wie geschäumte Milch aussah. Auch in den nächsten Tagen konnte ich Szirba nirgends auftreiben. Ich wurde nervös, da mein Urlaub dem Ende zuging und in Wien ein Brotberuf meiner harrte, wenngleich ich wenig vom Geschmack des Brotes hielt. Ein erneuter Versuch, in das Haus eingelassen zu werden, scheiterte. Die Italienerin machte sich gar nicht erst die Mühe, ins Freie zu treten. Sie stand am Fenster und gestikulierte. Mit dem Fleischermesser. Vermutlich legte sie es ungern aus der Hand.
    Es war mein letzter Abend in Johannesburg, als ich im Café Museum stand, vergeblich nach Szirba Ausschau hielt und mich entschloss…nun, gewissermaßen entschloss ich mich, verrückt zu werden, vielleicht in Gedanken an das Brot, das mich erwartete. Wie anders könnte man erklären, dass ich in aller Eile bezahlte, aus dem Café Museum rannte und mich zu ebenjenem Haus begab, wo eine resolute Dame mit Schürze mir die Gastfreundschaft verweigerte. Um ebendieser Dame auszuweichen, stieg ich im relativen Schutz der Dunkelheit über eine Mauer, ungeachtet der Bedrohungen, die mich auf und hinter dieser Mauer erwarten konnten, eigentlich erwarten mussten. Doch da war niemand, der mich von der Mauer schoss, kein Stromstoß warf mich zurück, und als ich hart auf die Wiese auftraf, fehlte es an Kampfhunden, die meinen Eintritt gegenzeichneten. Weshalb ich auch nicht wie ein Ranger durch die Gegend robbte, sondern mich aufrechten Ganges um das beleuchtete Haus bewegte und schließlich auf eine ausgedehnte Terrasse trat. In der breiten Glasfront klaffte ein Spalt, durch den ich in jenen Wohnraum gelangte, in welchem ich Szirba zurückgelassen hatte.
    Ich vernahm Stimmen, die aus einem TV-Gerät drangen. Mit dem Fernsehen war das so eine Sache. Ich konnte mich dem nie entziehen. Selbst jetzt nicht, in diesem gewagten Moment meines Eindringens. Ich musste einfach nachsehen, was da gerade im Fernsehen lief. Wer da mit wem sprach. Nun, es waren drei Herren, die in einem Studio saßen. Einer davon war unverwechselbar: jener Boxkünstler, der einst behauptet hatte, wie ein Schmetterling zu flattern und wie eine Biene zu stechen. Sein Gegenüber, offensichtlich ein Journalist, streute dem alternden kranken Mann Blumen und erwähnte, dass er bekanntermaßen »der Größte« sei.
    »Wer sagt das?«, fragte der einstige Champ.
    Der Reporter blickte verblüfft auf. Dann grinste er und meinte: »Das haben Sie doch selbst immer behauptet.«
    »Und das haben Sie geglaubt.«
    In diesem Moment konnte man das Gefühl haben, der Boxer leide gar nicht unter Parkinson, spiele das nur. Als hätte er vor einiger Zeit bloß die Rollen getauscht und sei vom »schönsten Mann der Welt« zum »schönsten Kranken der Welt« geworden.
    »Ich habe befürchtet, Sie würden kommen.« Das war nun keine Stimme aus dem Fernseher. Sie kam von der Seite her. Doch Szirba war es nicht,

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