Der Mann hinter dem Vorhang
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I ch verliebte mich in Marta, als ich sie bei einem unserer ersten Rendezvous sagen hörte, sie habe nie das Gefühl kennengelernt, zum ersten Mal einen Raum zu betreten und gleich zu spüren, dass sie schon einmal dort gewesen sei. Ich weiß noch, dass sie diese ungewöhnlich vertrauliche Mitteilung mit einer Handbewegung unterstrich, die mit einer umgestoßenen Kaffeetasse endete, und dass ich ihr gebannt dabei zuschaute, wie sie den Schaden einzudämmen suchte, indem sie Servietten in die braune Brühe tunkte, die sich zwischen uns auf der Tischplatte ausbreitete. Da ich auch noch nie dieses Kribbeln im Nacken gespürt hatte, das andere befällt, wenn sie durch bestimmte Türen gehen, überwältigte mich ein Zärtlichkeitsgefühl für dieses magere, von mir ohne übertriebenen Eifer hofierte Mädchen, das mächtig genug war, uns unscheinbare und gegen Erinnerungen immune Geschöpfe zusammenzuführen. Ein Kuss von über das Gewöhnliche hinausgehendem Tiefgang besiegelte dann das Geständnis, und im Lauf der nächsten Jahre wurde uns beiden klar, dass wir nichts anderes suchten als dieses der Langeweile so ähnliche Gefühl von Glück. Vor einem blumengeschmückten Altar und zuhauf herbeigeeilter Verwandtschaft schlossen wir die Akte jener finsteren Vergangenheit, in der wir zur Liebe dieselbe Beziehung unterhalten hatten wie Kinder zu Steckdosen. Und jetzt, auf dem gebeugten Rücken unseres siebenjährigen Ehealltags mit dem Saldo eines reizenden Töchterchens und einer Großmutter auf dem Weg zur Entsorgung, war die alte Flamme wieder angefacht worden, ohne dass einer von uns das zu diesem Zeitpunkt noch wollte. Der Grund dafür war kein anderer als die Suche nach einem neuen Dach über dem Kopf; denn als ich den Blick von den schwingenden Hüften der Maklerin löste und mich in der weitläufigen Wohnung umschaute, die sie uns zeigte, spürte ich ein Kribbeln im Nacken, das meinen Kopf unwillkürlich in Martas Richtung drehte. Und in ihren Augen konnte ich lesen, dass auch sie den Eindruck hatte, hier schon einmal gewesen zu sein.
Es war die Wohnung unserer Träume, keine Frage. Sie besaß ein riesiges Wohnzimmer, lichte Schlafräume und zwei Bäder, die dafür sorgen würden, dass die Familie nicht jedes Mal in Verdrückung geriet, wenn die Großmutter sich in eines von ihnen zurückzuziehen beschloss. Der einzige Unterschied zu der perfekten Wohnung unserer Träume war der Mann hinter dem Vorhang.
«Wer ist er?», wollte Marta wissen.
Die Maklerin zuckte die Achseln. Viel konnte sie uns nicht berichten. Sie kannte weder seinen Namen noch die Gründe, warum er sich dort versteckte oder auf wer weiß was wartete. Sie wusste nur, dass der Mann hinter dem Vorhang zusammen mit der Wohnung vermietet wurde, sozusagen zum Inventar gehörte. Er wäre im Preis inbegriffen, und falls wir die Wohnung eines Tages aufgäben, würden auch die neuen Mieter ihn übernehmen müssen. So war es immer gewesen, so lautete das Abkommen, das die Wohnungseigentümerin mit der Maklerfirma getroffen hatte.
Nachdem sie uns mit diesen besonderen Konditionen vertraut gemacht hatte, ließ uns die Maklerin allein, damit Marta und ich ungestört unsere Entscheidung treffen konnten. Von allen Wohnungen, die wir uns angesehen hatten, entsprach diese am meisten unseren Wünschen. Wir waren im Laufe unserer Ehe zwar schon öfter umgezogen, aber mit einem Unbekannten hinterm Vorhang hatten wir noch nie zusammengelebt. Ob wir uns daran gewöhnen könnten? Die Maklerin hatte berichtet, die Vormieter hätten ihr gesagt, der Mann hinterm Vorhang fiele gar nicht auf, er sei von zurückhaltender Natur und man könne schon nach wenigen Tagen vergessen, dass er überhaupt existierte. Marta schien interessiert die Schuhspitzen zu betrachten, die unter dem Vorhangsaum hervorlugten. Dem Blick, den sie mir dann zuwarf, konnte ich entnehmen, dass die Anwesenheit des Fremden für sie kein Grund war, die Wohnung nicht zu erwerben, und so senkte auch ich, demütig zustimmend, mein Haupt. Wenigstens war die Wohnung nicht verhext, wie wir nach den Bemerkungen, die im Viertel darüber zu hören waren, befürchtet hatten.
Wir zogen sofort ein. Abgesehen davon, dass wir aus einem Schlafzimmer ein Arbeitszimmer für Marta machten und das eine oder andere Möbelstück verrückten, nahmen wir kaum Veränderungen vor. Allerdings dauerte es eine Weile, bis unser Familienleben wieder in natürlichen Bahnen verlief. Ob der Mann hinter dem Vorhang
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