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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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er. Aber es klang nicht, als spreche er zu mir.
    Als wir durch den frei stehenden Türrahmen der Sicherheitskontrolle traten, forderte man Szirba auf, er solle seinen Plastikbehälter auf das Rollband legen. Szirba schüttelte den Kopf, kam der Aufforderung jedoch nach. Was nun der Beamte auch immer auf seinem Monitor erkannte oder nicht, er gab seinem Kollegen ein Zeichen, der das Objekt nach erfolgter Durchleuchtung vom Band nahm und auf einem Tisch abstellte. Dann schaute er Szirba an und fragte: »Was ist das?«
    Szirbas Gesichtszüge wechselten von der Schlafsucht zur Durchtriebenheit. Er sagte: »Versoffene Jungfern« und legte seine verbundene Hand auf den Tisch, als biete er auch diese zur Überprüfung an.
    »Ich stehe hier nicht zum Spaß«, erklärte der Sicherheitsbeamte. Mit dem Trotz des täglich Gequälten hob er den Deckel und sah in die Schüssel. Ob es nun die bloße Erleichterung ob der Harmlosigkeit des Inhalts gewesen war oder der Geruch von Most, er lächelte, wirkte für einen Augenblick beinahe gerührt. Dann schloss er den Behälter, legte ihn zurück in Szirbas Armbeuge und wies uns an, weiterzugehen.
    Und indem wir uns auf unseren Flugsteig zubewegten, meinte ich zu spüren, wie hinter mir auch Stuttgart zu schrumpfen begann, mit jedem meiner Schritte kleiner wurde, eine Stadt aus knöchelhohen Kunststoffgebäuden. Ich dachte an den miniaturisierten Turm in meinem Gepäck. Und mich beglückte die Vorstellung, dass er auf irgendeiner Johannesburger Müllhalde landen würde. Ich halte es für das Beste, wenn die Erinnerung verrottet. Die Erinnerung lehrt uns nichts, sie macht uns weder weiser noch menschlicher, im Gegenteil, in der Erinnerung steckend, verkümmern wir zur Bitterkeit. An der Vergangenheit nagend, verderben wir uns jeglichen Appetit auf die Zukunft.
    Aber noch war es nicht so weit. Die Geschichte, die ich erledigt glaubte, baute sich erneut vor uns auf. Etwa eins fünfundsiebzig hoch.
    »Das ist er«, sagte Szirba.
    »Wer?«
    »Remmelegg.«
    Der Kommissar sprach gerade mit einer der beiden Flugbegleiterinnen, die am Eingang zu einer Röhre standen, in welcher die Passagiere wie in einem Teilchenbeschleuniger verschwanden. Die Stewardess musste freundlich bleiben und dabei die Wünsche des Kommissars respektieren. Er löste sich von den Damen, trat auf uns zu.
    »Das ist ungerecht«, beschwerte sich Remmelegg.
    »Wie meinen?«, erkundigte sich Szirba.
    »Das ist bereits Ihr zweiter Schal. Sie verzeihen, aber ich weiß nicht, was Gerda an Ihnen findet. Sie sind so durchschnittlich wie wir alle. Na gut, Sie sind Österreicher. Aber ich kann nicht glauben, dass das ein guter Grund ist, Ihre Bevorzugung zu erklären.«
    Szirba öffnete umständlich seinen Behälter und hielt ihn Remmelegg unter die Nase. Der Kommissar schüttelte den Kopf. »Was soll man da machen? Sie haben bei Gerda nun mal einen Stein im Brett. Und ich befürchte, nie zu erfahren, wie dieser Stein dort hingekommen ist.«
    Ich hatte andere Sorgen. Ich schaute mich nach den Männern um, die sich demnächst auf uns stürzen würden. Remmelegg erkannte meinen Blick und meinte: »Nicht doch. Ich wollte Ihnen beiden nur Adieu sagen.« Wieder an Szirba gerichtet: »Und da wäre noch die Frage, was ich Ihrer Frau sagen soll. Die Wahrheit einmal ausgenommen. Sie ist ehrlich besorgt…besorgt ist vielleicht ein wenig übertrieben. Sagen wir, Ihre Gemahlin will sich auskennen. Was man verstehen kann.«
    »Sagen Sie ihr, ich wäre geflüchtet.«
    »Das wäre dann aber die Wahrheit.«
    »Dann sagen Sie, dass ich wegen ihr geflüchtet bin.«
    Remmelegg überlegte wie ein Pantomime, der den Zustand des Überlegens darstellt. Dann fragte er: »Ist das realistisch? Vor einer solchen Frau flüchten zu wollen?«
    »Sie wird es verstehen«, zeigte Szirba sich überzeugt und drückte den Behälter fester an sich, als keime darin sein neues Leben.
    »Na gut«, sagte Remmelegg. »Ich habe nichts dagegen, Ihre Rolle auf die eines desertierenden Ehemanns zu vereinfachen. Damit können wir alle leben. Solange Sie von dieser Stadt und von diesem Land fernbleiben. Ihnen, Herr Jooß, brauche ich das ja nicht zu sagen.«
    Ich sagte kein Wort, als hätte ich bereits vergessen, je die deutsche Sprache erlernt zu haben.
    »Was wollen Sie wirklich?«, fragte Szirba.
    »Ich will, dass Sie fliegen«, antwortete Remmelegg, gab uns die Hand und ging an uns vorbei, dorthin zurück, wo Stuttgart lag, welches mit jedem seiner Schritte in die Höhe

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