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Der Mann, der Donnerstag war

Der Mann, der Donnerstag war

Titel: Der Mann, der Donnerstag war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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für ewig zu riskieren. Dann wieder sah er freilich für Augenblicke ein: all seine Wahrnehmungen wären höchst subjektiv – all das waren ganz alltägliche Menschen, von denen der eine steinalt, der andere hypernervös und der dritte schier mit Blindheit geschlagen war. Zuletzt aber symbolisierte er doch wieder auf das unnatürlichste – und konnte gar nicht anders. Jede Gestalt schien ihm zuweilen an die äußerste Grenze des Irdischmöglichen hinausgerückt, so wie ihre Theorie an der äußersten Grenze des Möglichdenkbaren stand. Ihm war: ein jeder von diesen Menschen stand am extremen Ende sozusagen eines wilden Weges der Raison. Es war ihm gerad, wie in einem sehr alten Märchen, so sehr wunderlich: daß, wenn einer westlich ging und immer westlicher, wohl bis ans Ende der Welt, er da etwas finden würde – sagen wir einen Baum – der mehr oder weniger denn ein Baum war, ein Baum, besessen von einem Dämon ... und daß wenn er östlich ging und immer östlicher, wohl bis ans Ende der Welt, er da etwas anderes finden würde, das nicht ganz es selber wäre – sagen wir einen Turm, einen verruchten Turm ... So schienen die Gestalten unsagbar grell gegen einen allerletzten Horizont zu stehen – Visionen alles Raums ... Die Enden der Welt drin eingeschlossen ...
    Die Unterhaltung ging unentwegt weiter – auch nachdem er auf diesem Schauplatz erschienen war. Und von all den Konstrasten dieses unheimlichen Frühstückstisches war der zwischen dem behaglichen gemächlichen Gesprächston und seinem fürchterlichen Inhalt nicht der geringste. Man war tief in der Diskussion eines aktuellen unverzüglichen Komplotts. Der Kellner eine Treppe tiefer hatte ganz und gar recht gehabt, wie er sagte: daß die Herren oben von Bomben und Königen sprächen. Drei Tage später sollte der Zar den Präsidenten der französischen Republik in Paris besuchen, und bei Schinken mit Ei auf ihrem sonnigen Balkon hatte die fröhliche Kumpanei ausgeknobelt, wie die beiden des Todes sein sollten. Sogar das Werkzeug dazu war schon gewählt: der schwarzbebartete Marquis, schiens, sollte die Bombe werfen.
    In jedem andern Fall würde die unmittelbare Nähe dieses positiven und objektiven Verbrechens Syme ernüchtert und von seinen mystischeren Schauern kuriert haben. Und er würde an nichts anderes mehr als an die eine Notwendigkeit gedacht haben: die beiden Menschenleiber zu erretten, eh sie mit Eisen und hundswütigem Dynamitgas in tausend Stücke zerschleudert werden. Aber das war Tatsache, daß ihn in diesem Augenblick eine nochmal neue – eine dritte Art Furcht ergriff, eine eindringlichere – praktikablere, als seine früheren Moral- und sozialen Fürchte und Ängstlichkeiten. Und das war ganz einfach: er konnte keine Furcht mehr für den französischen Präsidenten oder den Zaren aufsparen – er gebrauchte sie all-alle für ... sich selber. Die meisten der Sprecher nahmen sich ein wenig in acht vor ihm und steckten beim Debattieren ihre Köpfe ein bißchen näher zusammen, und einer
    nach dem andern setzte eine schier ernsthafte Miene auf – mit Ausnahme des Sekretärs, dem alle Augenblick sein Lächeln in zwei Fortsetzungen quer übers Gesicht fuhr so wie das schartige Licht hoch oben über den Himmel hin. Und dann war da eins, das Syme erst verstörte und ihn zuletzt rasend folterte: Der Präsident sah alleweil – sah unausgesetzt zu ihm her, mit einem forschenden Blick, der einen aus der Haut fahren machen konnte. Der ungeheure Mann war ganz ruhig – und nur seine blauen Augen, die staken ihm aus dem Kopfe. Und taten nichts und nichts als Syme fixieren ...
    Bis Syme zumute wurde: gerad als müßte er zum Balkon hinabspringen. Ihm war unter des Häuptlings Blicken – als sei er durch und durch aus Glas. Hatte der Häuptling nicht auf irgendeine geheime außerordentliche Weise schon herausgefunden, daß er ein Spion – – Syme sah weg und sah zum Balkon hinab: und da unten, gerad da unten stand ein Policeman und starrte auf das lichte Geländer und in das sonnenlichterfüllte Laub – – –.
    Und dann überkam ihn jene große Versuchung, die ihn tagelang martern sollte. Angesichts dieser gewaltigen und schrecklichen Männer, dieser Fürsten des Anarchismus, hatte er sich der phantastischen, schwächlichen Figur des Dichters Gregory, des rein ästhetischen Anarchisten fast gar nicht mehr erinnert. Gedachte seiner nicht mehr als freundlich und zugeneigt – so als ob sie zusammen gespielt hätten, als sie noch

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