Der Mann, der Donnerstag war
nebeneinander ein paar schlanke hohe Baulichkeiten auf, punktiert von erleuchteten Fenstern, so schwindelnd hoch wie Fabrikschornsteine, daß sie allzusammen aussahen wie ein Turm zu Babel mit hundert Augen. Syme hatte nie noch amerikanische Wolkenkratzer gesehen, – so glaubte er, er träume nun von ihnen ...
Und gerad wie er hinüberstarrte, ging das höchste Licht von den zahllosen Lichtern da drüben aus, als ob der schwarze Argus ihm mit einem seiner zahllosen Augen zugewinkt hätte –
Und da drehte sich Professor de Worms auf dem Absatz um und schlug mit seinem Stock gegen seinen Stiefel –
Und sagte: »Zu spät ... Der hygienische Doktor ist zu Bett gegangen ...«
»Wie?« fragte Syme. »Wohnt er denn da drüben?«
»Ja«, sagte de Worms. »Hinter jenem einen Fenster, das Sie nicht sehen können. Kommen Sie – wir gehen dinieren. Wir müssen morgen früh bei ihm vorsprechen.«
Sie redeten weiter nichts mehr miteinander. Der Professor nahm den Weg voran durch mehrere Seitenwege. Bis sie in die strahlende Helle und in das Getöse von East India Dock Road kamen. Der Professor, der sich hier überall aufs beste auszukennen schien, strebte weiter voraus bis auf einen Platz, allwo die Reihe erleuchteter Läden plötzlich endigte und Zwielicht herrschte und Ruhe und wo ein altes freundliches, ganz und gar baufälliges Gasthaus sich etwa zwanzig Schritt vom Weg in die Ecke drückte.
»Man findet hier und da noch gute englische Gasthäuser – durch reinen Zufall – aber ganz fossile«, erläuterte der Professor, »einmal fand ich ein sehr anständiges in West End.«
»Und ich vermute«, lächelte Syme, »daß dieses dann das korrespondierende in East End ist?«
»Sehr richtig«, sprach der Professor mit Würde und trat ein ...
Und da dinierten – und da schliefen sie, die beiden. Und das sehr gründlich. Die Bohnen und der Speck, glänzend zubereitet von den seltsamen Leutchen – und wie so erstaunlich Burgunder aus ihrem Keller floß: das machte Symes Glauben an eine neue Kameradschaft und an ein neues Glück vollkommen. Durch all die Feuerprobe hindurch war Symes tiefste Qual seine Isolation gewesen. Und Worte können nimmer den ungeheuren Abstand durchmessen zwischen Isoliertsein und einen Alliierten an seiner Seite wissen. Den Mathematikern zugegeben: 2x2 = 4. Aber 2 ist nicht 2x1. 2 = 2000x1! Indem, hundert Nachteilen zum Trotz, die Welt immer wieder zur Monogamie zurückkehren wird ...
Nun konnte Syme endlich einmal seine ganze unglaubliche Geschichte an einen loswerden – von dem Augenblick an, da Gregory ihn in jene kleine Taverne am Fluß mitgenommen hatte. Und er erzählte sie, behaglich, ausführlich, in einem reichen, üppigen, überwuchernden Monolog – so wie man sehr alten Freunden etwas erzählt. Andererseits war der, der den Professor de Worms darstellte, nicht weniger mitteilsam. Und seine eigene Geschichte war fast so absurd wie die Symes ...
»Ihre Aufmachung ist eine tadellose Aufmachung«, sprach Syme – und genehmigte ein Glas Mâcon. »Um wieviel tadelloser als die des lieben Gogol. Mir war von allem Anfang schon: er war ein bißchen zu haarig.«
»Zwei verschiedene künstlerische Anschauungen«, versetzte der Professor tiefsinnig. »Gogol war Idealist. Er schminkte und schmückte sich auf das abstrakte oder platonische Idealbild eines Anarchisten hinaus. Ich aber bin Realist. Ich bin ein Porträtmaler. Aber nein – Porträtmaler ist nicht der richtige Ausdruck. Ich bin ein Porträt.«
»Ich versteh nicht«, sagte Syme.
»Ich bin ein Porträt«, wiederholte der Professor. »Ich bin das Porträt von dem berühmten Professor de Worms, der, glaub ich, in Neapel ist.«
»Sie wollen damit sagen, daß Sie ihn mimen«, sagte Syme. »Ja, aber weiß er das nicht, daß Sie seine Nase zu unlauterem Wettbewerb mißbrauchen?«
»Er hat einen ausgezeichneten Riecher«, scherzte sein Freund.
»Ja, aber warum verstänkert er Sie denn da nicht?«
»Weil ich ihn verstänkert habe«, antwortete der Professor.
»Erklären Sie mir das, bitte«, sprach Syme.
»Aber gern! Wenn Sie also nichts dagegen haben«, versetzte der eminente ausländische Philosoph, »dann bin ich von Beruf Schauspieler und heiße Wilks. Als ich noch beim Theater war, verkehrte ich mit allen möglichen Bohémiens und Lumpenpack. Mit Rennschiebern – mit dem Aus- und Fehlschuß unter den Künstlern – und mit politischen Flüchtlingen. Bald mit solchen, bald mit solchen. Wies traf. In einem Schlupfwinkel
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