Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der Donnerstag war

Der Mann, der Donnerstag war

Titel: Der Mann, der Donnerstag war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
Vom Netzwerk:
Verzückungen der Reaktion.
    »Nehmen Sie sich zusammen«, sprach der Professor. »Sie werden mir sonst noch hysterisch. Trinken Sie noch 'n Bier. Ich trink auch eins.«
    »Aber Sie haben ja nicht einmal Ihre Milch getrunken?« sprach Syme.
    »Meine Milch?« sprach der andere – und das klang so voll unendlicher Verachtung, »meine Milch! Glauben Sie, ich rühr das – Sauzeug an, wenn ich außer Sichtweite dieser hündischen Anarchisten bin? Wir sind alle Christen in diesem Lokal, obschon – vielleicht«, fügte er hinzu – und sah rund herum durchs Gewühl, »– hm – Wie dies Glas leer machen? Himmel, Hölle, Wolkenbruch! da! da! Nun ist es genug leer!« und er stieß das Glas vom Tisch: ein Haufen Scherben ... eine silberne Lache ...
    Syme sah ihn selig-neugierig an.
    »Jetzt kapier ich endlich«, rief er. »Natürlich doch, natürlich! Sie sind überhaupt kein alter Mann!«
    »Ich kann mein Gesicht hier nicht ausziehn«, versetzte Professor de Worms. »Das ist nämlich eine raffinierte Aufmachung ... Ein alter Mann? Das läßt sich nicht von mir behaupten. Ich bin an meinem letzten Geburtstag achtunddreißig geworden.«
    »Ja. Aber ich meine«, sprach Syme ungeduldig, »– es fehlt Ihnen weiter nichts.«
    »Doch«, sprach der andere gelassen, »ich neige furchtbar zu Schnupfen.«
    Syme lachte und lachte – halb ohnmächtig vor Erlösung. Lachte und lachte über diesen paralytischen Professor, der doch nur eine Maske im Rampenlicht – ein junger Akteur sein wollte ... Und aber fühlte, daß er genau so laut gelacht hätte, wenn eine Pfefferstreubüchse umgefallen wäre ...
    Der falsche Professor tat einen Schluck – und streichelte seinen Bart.
    »Wußten Sie«, fragte er, »daß jener Gogol einer von den Unsrigen war?«
    »Ich? Nein«, antwortete Syme ziemlich überrascht. »Aber Sie?«
    »Ich wußte es nicht mehr als es ein Toter weiß«, versetzte der Mann, der sich de Worms nannte. »Ich dachte nur, der Präsident meinte mich mit allem. Und war auf alles gefaßt.«
    »Und ich dachte, daß er – mich mit allem meinte«, lachte Syme sein unbekümmertes Lachen.
    »Und hatte die Hand die ganze Zeit am Revolver.«
    »Genau wie ich«, sprach der Professor grimmig. »Und wie Gogol wahrscheinlich auch.«
    Da schrie Syme und schlug auf den Tisch:
    »Nun also – so wären wir unser drei gewesen!« schrie er. »Drei gegen vier von sieben! Wer das gewußt hätte, daß wir unser drei gewesen!«
    Doch da verfinsterte sich das Gesicht des Professors und sah nicht auf und blickte zur Erde. »Ja! Drei!« sagte er. »Aber wenn wir dreihundert gewesen wären, hätten wir doch nichts machen können – –«
    »Auch nicht, wenn wir unser dreihundert gegen vier gewesen wären?« fragte Syme – mit lautem Hohn.
    »Nein«, versetzte de Worms nüchtern. »Und wenn wir dreihundert gegen – – Sonntag gewesen wären.«
    Und die bloße Nennung dieses Namens machte Syme frieren und verstummen. Und sein Lachen erstarb ihm in seinem Herzen, bevor es noch auf seinen Lippen erstarrte. Und das Gesicht dieses Präsidenten, den du nie wieder vergessen kannst, erschien mit einem Ruck vor seinem geistigen Auge – wie eine farbige, von Farben flammende Photographie. Und – was war das doch für ein Unterschied, für ein Abstand zwischen Sonntag und all seinen Satelliten! Die Gesichter all der andern – und mochten sie noch so unheimlich und blutrünstig scheinen – sie verschwammen und verschwanden, so du an andere Menschengesichter dachtest – – wohingegen Sonntags Größe im Fernsein von ihm und in der Erinnerung nur noch wuchs, als ob das gemalte Porträt eines Menschen langsam zu Leben und Atem würde! ...
    Sie schwiegen beide eine ganze Weile. Dann schäumte Syme über – wie Champagnerwein.
    »Professor!« schrie er, »Professor, Professor – es ist unerträglich! Fürchten Sie sich vor diesem Mann?«
    Da hob der Professor seine schweren Lider und sah Syme an – mit großen, weit offenen, blauen Augen – und voll von einer engelgleichen Aufrichtigkeit.
    »Ja! Ich ja!« sprach er leise. »Und – – Sie auch.«
    Wie total verblödet war Syme einen Augenblick. Dann aber sprang er auf, stand ragend, wie ein Herausgeforderter – und der Stuhl hinter ihm fiel um –
    »Ja« – und seine Stimme klang unbeschreiblich – »Sie haben recht. Ich auch fürchte mich vor ihm. Deshalb aber schwör' ich bei Gott, daß ich diesen Menschen ausfindig machen werde, den ich fürchte, bis ich ihn finde ... und ihn aufs

Weitere Kostenlose Bücher