Der Mann, der Donnerstag war
Syme hatte im Herzen dieses sonndurchsprengten Waldes gefunden, was manche moderne Maler drin gefunden haben. Das, was die modernen Menschen Impressionismus nennen, was nur ein anderer Name für den endgültigen Skeptizismus ist, der gefunden zu haben behauptet – das Universum sei bodenlos...
Wie ein Mensch, der einen schlimmen Traum hat, sich heftig anstrengt, laut aufzuschreien und zu erwachen, strengte sich Syme ganz plötzlich mächtig an, diese letzte und schlimmste von all seinen Wahnvorstellungen abzuschütteln. Mit zwei ungestümen Schritten holte er den Mann mit dem Strohhut des Marquis ein, den Mann, den er mit Ratcliffe anreden sollte. Und schrie übertrieben laut und heiter – um nur endlich mit dem bodenlosen Schweigen aufzuräumen und eine Konversation in Gang zu bringen.
»Darf ich fragen«, schrie er, »wohin in aller Welt das führen soll?«
So wahr waren die Zweifel in seiner Seele gewesen, daß er nun überglücklich wurde, wie sein Kollege mit einer fließenden menschlichen Stimme antwortete:
»Wir müssen durch die Stadt Lancy an die See«, sprach er. »Die Gegend scheint mir in bezug auf jene noch am günstigsten für uns.«
»Ja, aber was wollen Sie denn eigentlich?« rief Syme. »Die werden uns doch nicht durch die halbe Welt nachlaufen. Es können doch nicht sämtliche Handwerker Anarchisten sein, und wenn sie es ja wären, so kann so ein Pöbel doch nicht gegen moderne Waffen und Polizei an.«
»Pöbel, Pöbel, Pöbel!« versetzte sein neuer Freund und lachte laut und höhnisch auf. »Sie sprechen vom Pöbel und den arbeitenden Klassen, als ob die überhaupt in Frage kämen. Sie sind einer von den vielzuvielen, die da idiotisch genug glauben: wenn der Anarchismus je auskäme, käme er von den Armen her. Wieso denn? Die armen Leute, die sind wohl dann und wann rebellisch geworden – aber Anarchisten waren sie nie; die haben mehr Interesse als jeder andere sonst – daß eine leidliche Regierung da ist. Der arme Mann hat in der Tat ein Interesse am Wohlergehen des Landes. Der reiche Mann nicht – der kann heute eher als morgen in seiner Yacht nach Neu-Guinea. Der arme Mann hat zuweilen beklagt, daß er schlecht regiert worden ist; der Reiche beklagts, daß er überhaupt regiert wird. Die Aristokraten, die waren und waren noch allemal die Anarchisten; denken Sie nur an die Kriege der Adelsgeschlechter.«
»Das würde sich alles«, sprach Syme, »recht hübsch in einem Vortrag über englische Geschichte für die Kleinen anhören. Aber die Moral von der Geschicht – die hab ich noch nicht so recht kapiert.«
»Die Moral von der Geschichte ist«, sprach sein Instruktor, »daß die rechte Hand sozusagen unseres alten Sonntags sich aus lauter südafrikanischen und amerikanischen Millionären zusammensetzt. Deshalb hat er sich aller Verkehrslinien bemächtigt; und deshalb laufen die vier letzten Kämpen der antianarchistischen Polizeigewalt wie die Kaninchen durch diesen Wald.«
»Millionäre – das will mir einleuchten«, sprach Syme gedankenvoll. »Die sind alle, alle nahebei verrückt. Für ein paar verruchte alte Tatteriche hübsche Steckenpferde zu liefern und sie so selber im Zaum zu halten, das ist ne Sache. Aber ganze große christliche Nationen zu übertölpeln, das ist ein ganz ander Ding. Ich setze diese meine Nase (verzeihen Sie die Anspielung) gegen nichts, daß Syme total außerstande ist, irgendwie einen auch nur einigermaßen gesunden und vernünftigen Durchschnittsmenschen zu sich zu bekehren.«
»Das hinge«, sprach der andere, »das hinge davon ab, was für einen Menschen Sie meinen.«
»Nun – m – beispielsweise«, sprach Syme, »den dort! Den, wett ich, könnten wir nie und nimmer bekehren!« und er deutete in schnurgerade Linie voraus.
Sie waren auf eine Lichtung herausgekommen. Und Syme war es, als ob mit dieser Lichtung ihm sein gesunder Menschenverstand endgültig zurückgekehrt wäre. Und mitten in dieser Waldlichtung, da stand eine Gestalt, die sich unter diesen besonderen Umständen geradezu scheußlich aktuell ausnahm. Sonnverbrannt und knallrot vor Schwitzen, von jener unergründlichen Gravität wie nur je einer, der kaum die nötigsten Lappen am Leibe hat, stand da ein mächtiger französischer Bauer und hackte Holz mit seiner Hacke. Sein Karren stand eine Strecke weit ab, schon halb vollgeladen mit Holz. Und der Gaul, der Gras ausrupfte, war, wie sein Herr, herzhaft, wenn auch nicht allzu verwegen. Er war gerad, wie sein Herr, wohl gediehen, aber
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