Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
mehr. Ich hatte „Ja“ gesagt, und jetzt betraf es mich.
Mir fiel eine Bewegung in der Menschenmenge drinnen an der Rol ltreppe auf. Der Polizist hatte sich umgedreht und machte mir Handzeichen im Befehlston, ich solle endlich nachkommen. Der Mann, um den es ging, starrte teilnahmslos zu dem winkenden Polizisten und nahm einen weiteren Lungenzug. Erst jetzt sah ich, dass ihm ein Stück vom rechten Daumen fehlte, gerade so viel, wie der Fingernagel ausmacht. Der Stumpf war rot und verdickt.
„Machen Sie jetzt endlich die Zigarette aus und kommen Sie.“
„Was halten Sie davon: Ich laufe weg, und Sie tun so, als ob Sie mich nicht einholen könnten. Der Polizist kann Ihnen keinen Vorwurf machen. Sie sind ja nur ein Passant, der ihm zufällig über den Weg gelaufen ist.“
„Nein, das mache ich nicht mit.“
„Wie Sie wollen.“
Die Glut hatte den Filter erreicht. Er ließ die Zigarette fa llen und trat sie aus. Ich konnte nicht ahnen, welche Tragweite meine Entscheidung haben würde, ihn nicht laufen zu lassen. Aber es überkam mich, als ich ihn den Zigarettenstummel mit der Schuhsohle vernichten sah, eine Gänsehaut am Rücken. Ich spürte, dass etwas geschehen war in diesem Moment, dass Ungeahntes auf mich zukam.
Er setzte sich in Bewegung, ging mit ausgestel lten Füßen an mir vorbei durch die Glastür in das Geschäft, und ich folgte ihm. Als der Polizist in Sichtweite kam, fasste ich den Mann wieder am Arm: Alles im Griff, wollte ich signalisieren. Diesmal wehrte er sich nicht. Er neigte nur den Kopf, sah nach unten auf meine Hand, dann schräg hinter sich in mein Gesicht und wieder auf meine Hand.
Auf dem Weg zur Rolltreppe stauten sich die Kunden, wir geri eten in ein Gedränge. Ich ließ ihn los, wir wurden aneinander gedrückt, und in diesem Moment muss es passiert sein, dass er mir unter die Jacke gegriffen hat. Mir fällt kein anderer Moment ein, in dem ich ihm noch einmal so nahe gekommen wäre und eine dafür so günstige Position zu ihm eingenommen hätte.
Wir gelangten zur Rolltreppe und erreichten den Polizisten, der sichtlich erleichtert wirkte. Zu viert gingen wir durch die Verkaufshalle zum Personalaufzug. Der P olizist drückte einen der Knöpfe, der Aufzug kam, wir stiegen ein. Die Türen schlossen sich mit einem schabenden Geräusch, die Kabine setzte sich mit leichtem Ruck in Bewegung.
Schweigen. Blickloses Starren.
Schweißgeruch stieg mit in die Nase und machte mir die Gesellschaft um mich herum unangenehm, auch die des Polizisten.
Der Aufzug hielt, die Tür ging auf, wir traten in eine Lagerha lle.
Der hohe, langgestreckte, unmöblierte Raum erinnerte mich an die typische Abrechnungskulisse aus Hollywoodfilmen. Fahrbare Kle iderständer aus Metall standen durcheinander, die meisten leer, einige mit neuer, noch von durchsichtiger Plastikfolie geschützter Ware behängt. Dahinter stapelten sich Kartons.
Links vom Fahrstuhl lag ein Büroraum, der aus zwei dünnen Pressspa nwänden und einer Decke in ein Eck der Halle gebaut war. Durch ein Fenster in einer der Wände sah man zwei Schreibtische, darauf Papiere, Telefone, Ablagekästchen...
Neben dem Büroraum standen ein paar Stühle. Der Polizist deut ete darauf.
„Setzt euch da hin und wartet.“
Die beiden Verhafteten sahen sich kurz an und gehorchten. Aus einer Seitentür der Halle kam ein Mann in einem dunkelblauen Anzug.
„Sie kommt gleich“, sagte er zu dem Polizisten und gesellte sich dann zu den beiden sitzenden Männern.
„Der Kaufhausdetektiv“, klärte mich der Polizist auf. Ich fragte mich, wo der so plötzlich herkam und warum nicht er bei der Verhaftung geholfen hatte. Aber ich war froh, dass ich nun offenbar nicht mehr gebraucht wurde.
„Ich kann dann ja sicher gehen.“
„Warten Sie bitte noch einen Moment, die Geschäftsführerin kommt gleich.“
Widerwillig nickte ich. Der Kerl mit dem Stiernacken, den ich a bgeführt hatte, sah kurz zu mir herüber, ein durchdringender Blick, der nicht einzuordnen war.
„Ich komme gleich wieder“, sagte der Polizist und ging die paar Schritte zu dem Detektiv, der sich vor den sitzenden Männern au fgebaut hatte. Ich wollte nicht den Eindruck machen als versuchte ich zu lauschen, schlenderte daher ein Stück in die Halle hinein und schaute mich um.
Als der Polizist mich draußen angesprochen hatte, war ich zu „A dventure, Sports’n’Fun“ unterwegs gewesen, einem Spezialgeschäft für Sportartikel und Outdoor-Bedarf. Die ersten Snowboards der
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