Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
erwartungsvoll an. Ich warf einen Blick zu den Verhafteten, die in Hörweite saßen und interessiert herübersahen.
„Sie werden vielleicht verstehen“, sagte ich mit gedämpfter Sti mme, „dass ich hier nicht unbedingt meinen Namen und schon gar nicht meine Adresse nennen möchte. Oder muss ich das in einem solchen Fall?“
„Nein, natürlich nicht“, sagte der Polizist.
„Gehen wir doch rasch ins Büro“, schlug die Frau vor.
Der Stiernacken ließ mich nicht aus den Augen. Auch im Büro, durch die Glasscheibe, hatten wir Blickkontakt. Ich traute diesen dünnen Wä nden nicht und sprach so leise wie möglich.
„Fercher, Frank – oder warten Sie, kann ich den Gutschein auch auf jemand anders ausstellen la ssen?“
Die Geschäftsführerin signalisierte mit einer wegwerfenden Han dbewegung, dass ihr das egal war. Intensiver Haarspraygeruch drang aus ihrer festen, kunstvoll geformten Frisur.
„Silke Heinig, unsere Haushälterin. Schöne Aussicht 17.“
Die Frau schrieb meine Angaben auf ihren Block.
„So, 200 Mark, das war’s. Sie können den Gutschein morgen abh olen lassen.“
„Danke.“
Ich gab der Frau die Hand, dann dem Polizisten. Er begleitete mich zum Fahrstuhl. Wieder war er es, der den Knopf drückte.
Der Fahrstuhl hielt mit seinem leisen Glockenton, die Tür schob sich auf. Er kam zwei Schritte mit in den Au fzug, gab mir noch mal die Hand, drückte auf Erdgeschoss und trat wieder zurück ins Lager.
„Machen Sie’s gut.“
Hinter dem Polizisten sah ich den stiernackigen Kerl sich auf seinem Stuhl aufrichten und die Hand heben.
„Hey, Hilfs-Sheriff“, rief er mir zu, „wir sehen uns!“
Die Fahrstuhltür schloss sich, und mit einem leichten Ruck ging es nach unten.
An den neuen Snowboards hatte ich an diesem Nachmittag keine Freude. Mir war, als stünden zwei von meiner Sorte inmitten der grell verschnörkelten Bretter und hatten erkannt, dass sie sich trotz gleicher Interessen nichts zu sagen hatten. Ich war zwei Monate zuvor 31 geworden. Und hatte nichts Dringlicheres im Kopf gehabt als keinesfalls auf einem Stück Fieberglas einen Berg hinunterzurutschen, das in der letzten Saison hip gewesen war und bereits bevor die neue Saison begonnen hatte als derart out galt, dass es mir sogar peinlich gewesen wäre, es zu verschenken.
„Ich habe vorhin einen Ladendieb verha ftet“, sagte ich zu Dave, dem der Laden gehörte. „Ich glaube, der Typ hat mich jetzt im Visier.“
„Wow!“, kam es von Dave. Er hielt mir eines der Boards vors G esicht und führte eine Art Breakdance dazu auf, der seine verfilzte Haartracht zum Wippen brachte. „Schau dir das Teil mal an. Wärst du nicht du, tät ich das obergeile Flitzeding immediately für mich selber aus dem Verkehr ziehen. Hey, die Zeit läuft, three, two, one, zero, wenn nicht gleich einer Hier schreit, isses tatsächlich weg!“
„Du kannst mich mal, Dave.“
Es war das erste Mal, dass ich seinen Laden verließ, ohne irgendwas gekauft zu haben. Sonst hatte ich bei meinen allwöchentlichen Besuchen nie weniger als 1.000 Mark ausgegeben.
„Jetzt erzähl mir schon deinen Fuck mit dem Dieb“, rief er mir hinterher. Rotzigkeit war Daves Erfolgsgeheimnis, sein Motto la utete: „Der Kunde ist das Arschloch, das mich zum König macht.“ In der Gründungsphase seines Geschäftes hatte er sich den Spruch im Stil von „Herr Jesus schütze dieses Haus“ in verschnörkelter altdeutscher Schrift auf ein Deckchen sticken lassen und ihn über der Kasse aufgehängt. Die wenigen Insider, die damals bei ihm vorbeischauten, erzählten das herum, anfangs noch unsicher, ob sie sich darüber empören oder es cool finden sollten. Dave wurde dabei zu einem Experten seines Faches stilisiert, der es nicht nötig hatte, nett zu seinen Kunden zu sein, weil sein Rat so unschätzbar war, dass man sich dafür gerne auch anpöbeln ließ. Die Skater-, Surf- und Snowboard-Szene in 100 Kilometern Umkreis ernannte seinen damaligen Hinterhof-Sauhaufen von Geschäft zum Nabel aller Trends und schließlich zum Kultladen.
„Jetzt beginnen die Neunziger“, war die Devise damals. Schluss mit dem verlogenen Höflichkeitsgetue, es geht um die Kohle und sonst nichts. Das weiß sowieso j eder, also raus damit – auch wenn die vermeintliche Ehrlichkeit bald zur Masche und irgendwann zur anders gelagerten Lüge wird. Straight forward – auch wenn man sich damit seine Ehe ruiniert und den eigenen Sohn zum Feind macht. Und man am Ende selbst nicht mehr
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