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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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Schlange
     
    D er 19. Mai 1912 ist nicht gerade ein Glückstag für Andrew Higgins, auch wenn er zunächst an einen Scherz glaubt. Higgins, Major der britischen Kolonialarmee in Indien, biwakiert mit seinem Regiment in der Gangesebene. Die Gegend ist dürr, trocken. Die Leute sind in Zelten untergebracht, zwanzig Kilometer vom Fluß entfernt. Es ist heiß, unerträglich heiß!
    Aber 1912 in Indien ist man als Engländer noch absolut unerschütterlich in seiner Haltung. Demgemäß sind Shorts und des Majors Hemd in tadellosem Zustand, demgemäß trägt und erträgt er mit stoischem Gleichmut die kratzenden Baumwollkniestrümpfe und die schweren, halbhohen Stiefel. wie das Reglement es nun einmal vorschreibt.
    Die Effektivität der britischen Armee hing — jedenfalls zu jener Zeit — genauso an derartigen Kleinigkeiten wie an der Qualität ihrer Enfield-Gewehre. Es liegt aber ganz sicher an seinem festen Schuhwerk, daß der Major nicht sofort merkt, was da auf ihn zukommt. Und es liegt auch ebenso daran, daß er gerade mit drei Kameraden Whist spielt— eine äußerst beliebte Beschäftigung unter den britischen Offizieren der Indischen Armee, ein Spiel, das höchste, geistige Konzentration fordert. Die vier Männer sitzen also in einem Zelt, dessen hochgerollte Seitenplanen trotzdem kaum die Spur eines Luftzugs hereinlassen. Drei Soldaten stehen um den Tisch und verfolgen gebannt das Spiel.
    Mehr zufällig schaut einer von ihnen auf den Fußboden — und erstarrt! Ganz langsam, ganz vorsichtig erhebt er seinen Blick und überlegt, wie, ja wie er es am besten formulieren könnte. Major Higgins muß unbedingt vor der drohenden Gefahr gewarnt werden, und zwar sofort! Aber er darf sich auf keinen Fall bewegen. Die geringste Bewegung könnte tödlich für ihn sein.
    Nun ist Major Higgins aber ein äußerst ungestümer Mensch, ein Choleriker, der bei jeder Kleinigkeit gleich in die Luft geht. Nichtdestoweniger ist er sehr beliebt in seinem Regiment. Nur macht es seinen Kameraden halt immer wieder Spaß, ihn zu foppen, um sich dann an seinen Zornesausbrüchen zu weiden. Es wäre also sehr gefährlich, geradezu unmöglich, ihn jetzt direkt zu warnen. Er könnte einen Jux wittern und wie üblich hochfahren. Doch das wäre sein sicherer Tod. Er darf sich nicht bewegen.
    Der Soldat sucht fieberhaft nach den passenden Worten und erklärt schließlich gekünstelt und mit tonloser Stimme: »Ich bitte Major Higgins, mir zu glauben. Was ich gleich sagen werde, ist kein Scherz. Er darf auf keinen Fall sein linkes Bein bewegen. Major Higgins, ich fürchte, daß eine Hornviper um Ihren linken Schuh kriecht. Sie müssen es mir glauben. Wenn nicht, fragen Sie bitte die anderen Offiziere. An Ihrer Stelle würde ich mich überhaupt nicht mehr bewegen.«
    Major Higgins fällt grundsätzlich auf fast jeden Schabernack herein und ärgert sich dann hinterher. Aber er ist so sehr an die Späße seiner Karneraden gewöhnt, daß er diesmal, ohne sein Spiel auch nur im geringsten zu unterbrechen, lediglich amüsiert bemerkt: »William, da müssen Sie sich schon etwas anderes ausdenken.«
    Doch besagter William, ein einfacher Leutnant, wiederholt beharrlich: »Ich bitte Major Higgins dringlichst, mir zu glauben. Ganz ohne Zweifel liegt eine Hornviper auf seinem linken Schuh. Es scheint, als wolle sie sich langsam hochschlängeln, und ich bitte höflichst den Herrn Oberst neben Ihnen, dies mit einem vorsichtigen Kopfnicken zu bestätigen.«
    Der Oberst neigt ein wenig den Kopf und wird seinerseits bleich: »Andrew, William lügt nicht. Es ist eine Hornviper. Sie kriecht langsam um Ihren Knöchel. Bewegen Sie sich nicht! Man muß etwas tun, bevor sie Ihr Knie erreicht.«
    Also jetzt, da es der Oberst bestätigt, wird es wohl stimmen. Dem guten, rotbackigen Major Higgins schießt Totenblässe ins Gesicht. Alle sitzen oder stehen jetzt wie erstarrt. Keiner wagt es, auch nur laut zu atmen.
    Die Hornvipern dieser Gegend sind äußerst gefährlich. Ihr Biß ist absolut tödlich. Sekunden später spiegeln die weit aufgerissenen Augen des Majors lähmendes Entsetzen. Durch seinen Strumpf hindurch fühlt er es jetzt ganz deutlich, dieses todbringende Scheusal an seinem Schienbein.
    Der Oberst, der von allen am günstigsten sitzt, sagt ruhig: »Ich greife jetzt ganz vorsichtig nach meinem Revolver und entsichere ihn. Wenn der Kopf mehr im Profil steht, werde ich versuchen zu schießen. Machen Sie sich keine Sorge wegen Ihres Strumpfes. Ich werde mich

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