Eine geheimnisvolle Lady
1
London, Juli 1827
»Ich möchte Ihre Geliebte werden.«
Schockiert lauschte Diana ihrer eigenen Stimme, die diesen ungeheuerlichen Wunsch verkündete. Noch schlimmer fand sie es, wie leicht er ihr über die Lippen kam.
Sie war nicht sicher gewesen, ob sie genug Mut aufbringen würde, um die kühnen Worte tatsächlich laut auszusprechen. Und doch kamen sie klar und deutlich aus ihrem Mund. So selbstbewusst, als hätte sie schon Dutzende fremde Männer in ihr Bett gebeten.
Grabesstille sank herab und zog sich in die Länge. Ein peinliches Schweigen.
Entschlossen bekämpfte sie den Impuls, ihre behandschuhten Finger im Schoß ineinanderzuschlingen. Obwohl ihre Nerven flatterten, musste sie stark und kontrolliert erscheinen. Ihr Herz hämmerte schmerzhaft gegen die Rippen. Inständig hoffte sie, die heftigen Schläge wären in dem stillen Raum unhörbar.
Du kannst es, Diana.
An diesem schwülen Sommernachmittag fand sie den Schleier über dem Gesicht viel zu heiß und stickig. Das taubenblaue Kleid schmiegte sich enger an ihren Körper als die Kleider, die sie gewöhnlich trug. Natürlich gehörte das zu ihrem Plan. Aber es war sehr unbequem. Plötzlich merkte sie, dass sie die Zähne zusammenbiss. Obwohl der Earl ihr Gesicht nicht sehen konnte, entspannte sie ihre Kinnmuskeln.
Der Schleier behinderte ihre Sicht. Trotzdem richtete sie ihre Aufmerksamkeit unentwegt auf ihre Zielperson, die ihr am Mahagonischreibtisch gegenübersaß. Durch die dünne Barriere sah sie nicht viel, nur breite Schultern und dunkles Haar.
Tarquin Vale, der Earl of Ashcroft. Ein wohlhabendes Mitglied der Aristokratie. Ein Kunstsammler. Ein engagierter Anhänger der reformistischen Politik. Ein Lebemann. Ein Wüstling. Eine Ausgeburt der Hölle.
Und ahnungsloser Schlüssel zu einer grandioseren Zukunft, als Diana es je zu träumen gewagt hätte.
Kurz bevor die spannungsgeladene Pause unerträglich wurde, lehnte sich der Earl zurück. Nur verschwommen sah sie seine Miene. Aber sie spürte ein Knistern in der Hitze, vermischt mit dem Geruch alter Bücher, von Leder und Tinte. Die Ellbogen auf den Armstützen seines Sessels, legte er die Spitzen seiner schmalen Finger aneinander. Eine unpassende, schulmeisterliche Pose für einen Mann, den sie als oberflächlich und allem Irdischen zugewandt kannte. »Ich … verstehe«, antwortete er langsam.
Seine tiefe Stimme klang angenehm und melodisch. Vermutlich übte er damit eine überwältigende Wirkung aus, wenn er eine Frau verführte. Obwohl sie ihr Gegenüber verachtete, obwohl sie hasste, was sie tun musste, war sie gegen diesen dunklen Bariton nicht gefeit. Er erinnerte sie an süßen Honig und rann wie eine Liebkosung über ihren Rücken.
Beklommen wartete sie auf eine weitere Reaktion, auf seine Zustimmung. Seinem Ruf zufolge ließ er sich wahllos mit Frauen ein, war lasterhaft und ohne Hemmungen. Sicher würde er sie nicht zurückweisen, denn sie war eine leichte Beute.
Doch er schwieg wieder. In ihren Ohren dröhnte allmählich die Stille in der eleganten Bibliothek mit den schön gebundenen Büchern in den Regalen, den schimmernden Globen, die Himmel und Erde darstellten, den reich geschnitzten Möbeln.
In ihrer lebhaften Fantasie hatte sie sich verschiedene Schauplätze für ihren Ruin ausgemalt – scharlachroten Satin, Wandgemälde mit üppigen nackten Frauen, einen dunklen Keller voller Folterwerkzeuge. An eine Bibliothek hatte sie nicht gedacht.
Bisher war nichts so verlaufen, wie sie es erwartet hatte.
Bei ihrer Ankunft war sie nicht einmal sicher gewesen, ob Lord Ashcroft sie empfangen würde. Erstaunt hob der Butler die Brauen, als sie nach Seiner Lordschaft fragte. Obwohl der Dienstbote eines Wüstlings wie Ashcroft doch an unangemeldeten Damenbesuch gewöhnt sein musste, der ohne Begleitung vor der Tür stand.
Aber der hochgewachsene, strenge alte Mann, der wie Petrus aussah, musterte sie missbilligend und bedeutete ihr, in die schwarz-weiß geflieste Halle zu treten. Danach dauerte es entmutigend lange, bis er zurückkehrte und erklärte, Seine Lordschaft würde sie empfangen.
Ihren Namen hatte sie nicht genannt, nur erwähnt, sie sei eine »Lady«, die mit seinem Herrn etwas Geschäftliches zu besprechen habe. Nach ihrer Ansicht beschrieb das Wort »Geschäft« ihre Mission so klar und deutlich wie jedes andere.
Verstohlen straffte Diana den Rücken, der bereits steif war wie ein Ladestock, und versuchte die warme Luft möglichst ruhig einzuatmen. Ihr war
Weitere Kostenlose Bücher